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PS WELT Nach der Explosion

Sind Erdgasautos rollende Zeitbomben?

Aral-Tankstellen stoppen vorerst Erdgas-Verkauf

Nach dem Explosions-Unfall eines VW-Erdgasautos stoppt Aral vorübergehend den Verkauf von Erdgas an seinen Tankstellen. Die Ursache des Unfalls ist ungeklärt; der Fahrer wurde schwer verletzt.

Quelle: Die Welt

Autoplay
Seit einer Explosion bekommen VW-Fahrer bei Aral kein Erdgas – es sei denn, sie haben ein Zertifikat. Ist der umweltfreundliche Kraftstoff ein Sicherheitsrisiko? Welche Schuld trägt der VW-Konzern?

Ob in Göteborg, Wolfratshausen oder kürzlich nun in Duderstadt: Die Bilder von zerfetzten VW Touran sind immer die gleichen. Und sie erinnern an Autobombenattentate. In Wirklichkeit aber haben durch Rost porös gewordene Erdgastanks die Verwüstungen verursacht.

Weil die mit 200 bar Hochdruck gefüllten Stahlbehälter beim Auftanken an der schwächsten Stelle gerissen sind und eine gewaltige Druckwelle ausgelöst haben. „Der Tank platzt dann auf wie eine Bratwurst, die zu lange auf dem Grill liegt.“ So plakativ beschreibt es VW-Sprecher Christian Buhlmann.

Wie jetzt bekannt wurde, war im Fall Duderstadt der Besitzer des Touran EcoFuel zwar einer Rückrufaktion von Volkswagen gefolgt, ohne jedoch die eindeutig maroden Tanks kostenlos auswechseln zu lassen.

Laut „Welt“-Informationen kam bei der Inspektion heraus, dass er sich die Kunststoffabdeckung über den vorderen der vier Tanks abgefahren hatte. Diese hätte er selbst bezahlen müssen, doch er wollte die Selbstbeteiligung von 400 Euro nicht aufbringen. So verließ er unverrichteter Dinge die Werkstatt. Einen Monat später kam es dann zum Unfall.

Die erste, kleine Rückrufaktion von Volkswagen

Den Touran-Besitzer scheint in diesem Fall eine Mitschuld zu treffen, das Problem „Poröse Erdgastanks“ ist jedoch mindestens seit 2012 bekannt. Am 3. August jenes Jahres wurde im bayerischen Wolfratshausen der Fahrer eines Touran EcoFuel bei einer Explosion so stark verletzt, dass er mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden musste. Schon damals galt ein poröser Gastank des mit insgesamt vier Flaschen (zwei vor, zwei hinter der Hinterachse) bestückten Autos als wahrscheinliche Ursache.

Die Druckwelle war so groß, dass Teile des als Notreserve in einem Erdgasauto installierten Benzintanks ein nahes Garagentor durchschlugen. Der Wagen war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt und 80.000 Kilometer gefahren.

Als Konsequenz startete Wolfsburg im Oktober 2012 eine erste, wenngleich kleine Rückrufaktion. Als Grund wurde angegeben: „Mögliche Korrosionsschäden wegen unzureichendem Eisen-/Phosphatierungsschutz.“ Angeschrieben wurden die Halter von Touran Ecofuel mit Produktionsdatum September 2005 bis Mai 2009. In Deutschland rund 6800 Adressen. Getauscht wurden aber nur die hinteren Tanks, die vorderen nur, falls sie schon sichtbar von Rost befallen waren.

Hauptuntersuchung am besten mit freigelegtem Tank

Zum Fall in Wolfratshausen kamen in der Folge mindestens zwei weitere in Schweden, 2015 und 2016, sowie nun der Tankunfall in Duderstadt hinzu. Die schwarze Serie schadet dem Ruf eines Treibstoffs, der als deutlich umweltschonender als Diesel, Benzin oder Autogas (LPG) gilt.

Die besonders gesundheitsschädlichen Stickoxide liegen bei CNG (Compressed Natural Gas) um 89, die Feinstaubpartikel sogar um fast 100 Prozent unter den Werten eines Diesels. Auch Kohlenwasserstoffe (-87 Prozent) und CO2 (-15 Prozent) sind niedriger. Das von lokalen Energieunternehmen aus dem öffentlichen Netz an freie und Markentankstellen gelieferte Erdgas wird an mehr als 900 Stellen im Bundesgebiet angeboten – mit Aral (189) als Marktführer.

Ein Erdgas-Fahrzeug. Freie Tankstellen beliefern Aral mit Erdgas
Ein Erdgas-Fahrzeug. Freie Tankstellen beliefern Aral mit Erdgas
Quelle: pa/JOKER
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Als Folge der ersten Rückrufaktion waren auch die Prüforganisationen auf das Problem aufmerksam geworden: So riet zum Beispiel die Dekra, die Hauptuntersuchung von Erdgasautos künftig nur noch in Verbindung mit freigelegten Tanks durchzuführen. Denn gerade unter den Kunststoffabdeckungen fresse der Rost gerne und im Verborgenen.

Speziell dann, wenn auch noch im Winter intensiv mit Streusalz hantiert wird. Das hatte mindestens zweimal schlimme Folgen: An einer Tankstelle in Linköping passierte am Anfang Mai 2015 nur deshalb nicht mehr, weil im Moment der Explosion niemand im Auto saß. Am 4. Juli 2016 kam in einem Vorort von Göteborg ein im Kofferraum sitzender Blindenhund ums Leben, ebenfalls bei einer Explosion.

Leidige Streits über Kulanzanträge

Parallel zu den Vorfällen in Schweden häuften sich beim Fachmagazin „Auto Bild“ Briefe frustrierter Besitzer von VW-Erdgasautos. Darunter scheckheftgepflegte, erst drei Jahre alte Modelle. Und erstmals auch solche vom Typ Passat EcoFuel.

VW wolle beim Austausch der Gammeltanks eine Selbstkostenbeteiligung von bis 2000 Euro, es gebe leidige Streits über Kulanzanträge, hieß es in diesen Briefen. Gerade der letztgenannte Punkt erstaunt: Während in Schweden diverse Rückrufaktionen stets kostenlos für die Betroffenen waren, schien der Hersteller seine deutschen Kunden finanziell auszupressen. „Wo bleibt eine große Rückrufaktion?“, schrieb „Auto Bild“.

Die kam, sogar im Doppelpack – aber erst 2016. Zunächst am 2. Juni, erneut für von 2005 bis 2009 produzierte Touran-Modelle. Bei denen wurden diesmal auch die vorderen Tanks geprüft und nunmehr auch kostenlos ausgetauscht. Anfang September weitete VW dann die Aktion sogar noch aus – auf bis Mai 2010 produzierte Touran, dazu Caddys (2005 bis 2010) und Passats (2008 bis 2010).

Nur mit Zertifikat bekommen VW-Besitzer Erdgas

Betroffen sind alle Erdgasmodelle der ersten Generation, die bis Mai 2010 aus der Produktion liefen. In Zahlen heißt das für Deutschland: 3900 Touran, 16.260 Caddy und 2250 Passat. Laut VW-Mann Buhlmann seien inzwischen rund 3000 Touran mit dicker beschichteten Tanks umgerüstet. „Der Tausch dauert fünf Stunden; wer das noch nicht erledigt hat, muss solange mit Benzin fahren.“

Sicherheit geht vor: Bei Aral können VW-Besitzer nur noch Erdgas tanken, wenn sie ein Zertifikat vorlegen können
Sicherheit geht vor: Bei Aral können VW-Besitzer nur noch Erdgas tanken, wenn sie ein Zertifikat vorlegen können
Quelle: pa/dpa Themendie/dpa Themendienst

Während VW also spät, aber endlich das Problem konsequent anpackt, führte der Fall Duderstadt zu einer bislang noch nie da gewesenen Verunsicherung bei Kunden und Tankstellenbetreibern. Aral, aber auch Jet, Esso oder Total stellten den Verkauf von Erdgas zeitweise komplett ein. Mittlerweile hatte sich die Lage zwar schon wieder entspannt, allerdings nicht für VW-Besitzer. Die bekommen kein Erdgas – es sei denn, sie legen ein Zertifikat vor.

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Aral-Sprecher Detlef Brandenburg sieht VW in der Bringschuld. Er stellt klar: „Besitzer eines umgerüsteten Erdgasmodells müssen jetzt schnell ein offizielles Zertifikat erhalten, sonst gibt es für sie keinen Zugang zu den über das Kassensystem gesperrten Zapfsäulen. Bestehen Zweifel, soll das Personal keine Kompromisse bei der Sicherheit eingehen und in Abstimmung mit dem jeweiligen Gasversorger die Betankung nicht ermöglichen.“

VW hat das Problem zu lange ausgesessen

Der Interessenverband Zukunft Erdgas stimmt ein und bedauert die durch den jüngsten Vorfall aufgetretene Verunsicherung. „Es ist kein Fall bekannt, in dem Tankunfälle mit Benzin oder Diesel zu einer bundesweiten Sperrung von Tankstellen geführt hätten“, sagt Sprecher Michael Oppermann „Speziell BP/Aral hat durch eine Überreaktion der Entwicklung eines alternativen Kraftstoffs geschadet.“

Der zudem auch als prinzipiell sehr sicher gilt, wie auch der ADAC bestätigt: „Die Tanks sind für einen Betriebsdruck von 200 bar ausgerichtet, die Sicherheitsprüfung des TÜV schreibt sogar einen Berstdruck von 600 bar vor. Sicherheitsventile sorgen im extremen Schadensfall für ein gezieltes Abblasen oder – zum Beispiel bei einem Brand – für ein kontrolliertes Abbrennen der Gasfüllung. Im Freien besteht selbst beim Entweichen großer Gasmengen keine Explosionsgefahr, da Erdgas leichter als Luft ist und sich sofort in der Atmosphäre verflüchtigt“, sagt Arnulf Thiemel, Experte im ADAC Technikzentrum Landsberg. Das gelte jedoch nur bei strenger Einhaltung der Prüfintervalle und -richtlinien.

Diese hat VW ganz offensichtlich aber nicht eingehalten. Erst bei Autos mit Produktionsdaten ab Juni 2010 und beim ebenfalls mit Erdgasantrieb angebotenen Kleinwagen Up können Kunden sicher sein, dass ihnen beim Betanken nicht das halbe Auto um die Ohren fliegt.

Der VW-Konzern hat das Problem zu lange ausgesessen, nicht konsequent behoben, betroffenen Kunden keine Kulanz gewährt, eine relativ saubere Antriebstechnik in Misskredit gebracht und zu allem Überfluss auch noch Menschenleben riskiert.

Spätestens seit Duderstadt wissen wir: Autos mit undichten Erdgastanks sind rollende Zeitbomben.

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