Eine «Radiomir» von 1940 wird bei Panerai in Neuenburg gewartet. (Bild: Panerai)

Eine «Radiomir» von 1940 wird bei Panerai in Neuenburg gewartet. (Bild: Panerai)

Die Uhrenmarke Officine Panerai

Wenig Geschichte, viel Kult

Timm Delfs Uhren
Abgesehen von Rolex gibt es kaum eine Uhrenmarke, die so kultig ist wie die ursprünglich italienische Officine Panerai, seit 1997 im Besitz der Richemont-Gruppe. Und das, obwohl Uhren von Panerai noch gar nicht lange auf dem Konsumentenmarkt erhältlich sind.

Das Unternehmen war 1887 in Florenz von Luigi Panerai gegründet worden, der unter seinem Namen ein kleines Uhrengeschäft auf der Brücke Ponte delle Grazie oberhalb des Ponte Vecchio betrieb. Sein Geschäft, das später auf die Piazza San Giovanni beim Dom zog, spezialisierte sich auf den Verkauf von Schweizer Uhren und nannte sich ganz einfach «Orologeria Svizzera». Das war damals, als es auch in anderen Ländern wie England, Deutschland und Frankreich namhafte Uhrenhersteller gab, nicht so selbstverständlich wie heute.

Anno dazumal. Aufnahme der «Orologeria Svizzera» in Florenz von Guido Panerai um 1930. (Bild: Panerai)

Anno dazumal. Aufnahme der «Orologeria Svizzera» in Florenz von Guido Panerai um 1930. (Bild: Panerai)

Panerai begann mit der Zeit, selbst Uhren zu entwickeln, die er mit Werken aus der Schweiz ausstattete. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die italienische Marine auf das Familienunternehmen aufmerksam und erteilte Panerai 1935 den Auftrag, eine wasserdichte Uhr mit grossen Leuchtziffern zu entwickeln. Heraus kam eine mit einem Taschenuhrwerk von Cortébert ausgerüstete, 47 mm grosse Armbanduhr in einem kissenförmigen Gehäuse mit angelöteten Stegen zum Einschlaufen der langen Lederbänder, die über dem Taucheranzug getragen wurden.

Uhrwerke von Rolex

Die besonders zuverlässigen Uhrwerke samt den wasserdichten Gehäusen bezog Panerai damals von Rolex. Deren erste Oyster genannten wasserdichten Uhren hatten dieselbe Gehäuseform, jedoch mit kleineren Abmessungen. Durch die enge Zusammenarbeit mit Rolex konnten die Officine Panerai von deren 1926 patentierter verschraubbaren Krone profitieren. Die Gehäuseform, die von Rolex bald aufgegeben wurde, ist heute eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale der italienischen Marke.

Eine kissenförmige Rolex «Oyster »aus dem Jahr 1926. Die Ähnlichkeit zum Modell «Radiomir» von Panerai ist unverkennbar. (Bild: Ablogtowatch)

Eine kissenförmige Rolex «Oyster »aus dem Jahr 1926. Die Ähnlichkeit zum Modell «Radiomir» von Panerai ist unverkennbar.
(Bild: Ablogtowatch)

Während im Geschäft Orologeria Svizzera an der Piazza San Giovanni Schweizer Taschenuhren an vermögende Florentiner Bürger verkauft wurden, lief in anderen Büros unter dem Namen Officina Meccanica di Precisione Guido Panerai die geheime Entwicklung militärischer Präzisionsinstrumente auf Hochtouren. Bereits während des Ersten Weltkriegs interessierte sich die Armee für das neu entdeckte radioaktive Radium, mit dessen Hilfe sich Substanzen herstellen liessen, die nachts leuchteten. Eines der ersten Instrumente, die in dieser Zeit von den Panerai-Werkstätten entwickelt wurden, war ein Zielfernrohr mit nachtleuchtenden Indexen.

Dessen Bezeichnung «Radiomir» leitete sich von Radium und «mirare» (zielen) ab, ein Name, der sich bis heute gehalten hat. Die «Officina» spezialisierte sich auf die Verwendung des Leuchtstoffs, von dessen Gefahren damals noch niemand etwas ahnte, und integrierte ihn vor allem in wasserdichte Instrumente für die damals noch junge Truppe der Kampftaucher. Während des Zweiten Weltkriegs erfanden die Italiener eine Art Unterwasser-Vespa, ein U-Boot von den Dimensionen eines Torpedos, auf dem sich zwei Taucher rittlings unter Wasser fortbewegen konnten. Das «Siluro a Lenta Corsa» (SLC) genannte Vehikel wurde während der Besetzung italienischer Häfen durch die Alliierten benutzt, um unbemerkt Minen unter dem Bug der vor Anker liegenden feindlichen Schiffe anzubringen.

Nachts wurde angegriffen

Die Officine Panerai stellten die Instrumente für die Taucher her: einen wasserdichten Kompass, der am Handgelenk getragen wurde, einen Tiefenmesser fürs Handgelenk, einen Neigungsmesser für das SLC, eine wasserdichte Taschenlampe und natürlich die Uhren. Alle Instrumente waren mit Skalen versehen, die im Dunkeln leuchteten, denn die meisten derartigen Sabotage-Operationen wurden nachts ausgeführt.

Eine besonders hohe Leuchtkraft wurde durch dickes Auftragen der radioaktiven Paste erreicht. Damit diese sich nicht auf den Zifferblättern der Instrumente verteilte, fräste man Vertiefungen in Zifferblätter und Zeiger, welche die Masse in der richtigen Form hielten. Für die Uhren wurde ein zweilagiges Zifferblatt entwickelt. Während die untere Lage Vertiefungen aufwies, in welche die Leuchtmasse gefüllt wurde, waren die Ziffern und Indexe des oberen Blatts komplett durchbrochen, so dass die Leuchtmasse durch die Öffnungen schien. Die Indexe und Ziffern wurden mithilfe einer Schablone ausgefräst, weshalb man eine möglichst einfache Linienführung der Typografie wählte und die Ziffern 6 und 9 offenliess, ein weiteres Erkennungsmerkmal, das sich bis heute gehalten hat.

Nach Kriegsende ging die Nachfrage nach militärischen Instrumenten zurück, doch Panerai blieb dem Militär treu. Das kissenförmige Gehäuse war 1940 modifiziert und mit soliden Bandanstössen versehen worden, welche das Wechseln der Bänder vereinfachten. 1949 erhielten die Officine Panerai ein Patent für ein neuartiges Leuchtmittel auf der Basis von Tritium, das viel weniger radioaktiv ist als Radium. Man nannte es «Luminor», ein Kofferwort aus «luminoso» (leuchtend) und «orologio» (Uhr) .

Detailaufnahme des Sandwich-Ziffernblattes einer Panerai «Radiomir» von 1940. (Bild: Panerai)

Detailaufnahme des Sandwich-Ziffernblattes einer Panerai «Radiomir» von 1940. (Bild: Panerai)

1952 schliesslich wurde eine neue Art erdacht, die Krone der Uhren abzudichten, die noch immer von Hand aufgezogen werden mussten, aber mittlerweile mit Uhrwerken von Angelus ausgerüstet waren, die acht Tage lang liefen. Das wiederholte Aufschrauben der Krone zum Aufziehen leierte nämlich das Gewinde und die Dichtung zu schnell aus, weshalb die Ingenieure der Officine sich etwas anderes ausdachten. Neu wurde die Krone durch einen von Hand zu spannenden Hebel gegen die Dichtung gedrückt. Wollte man das Werk aufziehen oder die Zeiger stellen, musste man nur den Hebel lösen, um die Krone zu befreien. Der Hebel wurde in einen Kronenschutz integriert, der sich bogenförmig über das empfindliche Bauteil spannte. Dies ein weiteres Merkmal, das es bis heute nur bei Panerai gibt.

Nachdem die Officine Panerai bis Ende der sechziger Jahre weiterhin im Geheimen für das italienische Militär produzierten und entwickelten, wurde es in den siebziger Jahren, als die Elektronik viele analoge Instrumente obsolet machte, ruhig um die Firma. Dino Zei, ein Offizier der Marine, kaufte 1972 nach dem Tod von Giuseppe Panerai dessen Witwe und dessen Schwester die Markenrechte, Zeichnungen und Lager der Officine ab, in der Absicht, die militärischen Uhren für ein breites Publikum zu produzieren. Doch die Zeit war noch nicht reif; Uhren mussten noch klein und dünn sein, um zu gefallen.

2011 in kleiner Neuauflage erschienen, ist das Modell «California» von Panerai, mit römischen als auch arabischen Ziffern. (Bild: Panerai)

2011 in kleiner Neuauflage erschienen, ist das Modell «California» von Panerai, mit römischen als auch arabischen Ziffern.
(Bild: Panerai)

Wie durch ein Wunder existierte die Marke 1995 noch immer, als der Schauspieler Sylvester Stallone ein Exemplar in einem Florentiner Schaufenster entdeckte, kaufte und in seinem Film «Daylight» trug. Er bestellte bei der Firma ein paar mit seiner Unterschrift versehene Exemplare des Modells Luminor und verschenkte sie unter Freunden. Einer davon, Arnold Schwarzenegger, trug sein Exemplar im Actionkracher «Eraser».

Das reichte, um die Aufmerksamkeit einiger wichtiger Leute im Uhrenbusiness auf sich zu ziehen. Einer davon war der Italiener Franco Cologni von der damaligen Vendôme-Gruppe, heute Richemont. Er überzeugte deren Hauptaktionär, den Südafrikaner Johann Rupert, vom Potenzial der ungewöhnlichen Marke. 1997 wurde der Kauf gegen den Willen einiger Vendôme-Manager, die nicht daran glaubten, dass derart wuchtige Uhren sich jemals verkaufen liessen, vollzogen. Vendôme engagierte den Italiener Angelo Bonati mit der Aufgabe, die Marke, von der eigentlich nur der Name, Pläne und ein paar unbrauchbare Prototypen existierten, aufzubauen.

Angelo Bonati brachte die Uhrenmarke wieder auf Kurs. (Bild: Panerai)

Angelo Bonati brachte die Uhrenmarke wieder auf Kurs. (Bild: Panerai)

Selten sind Skeptiker mit ihren Prognosen so auf die Nase gefallen wie am Beispiel Panerais. Die Marke, deren Neustart 1997 mit Angelo Bonati an einem Schreibtisch begann, beschäftigt heute 255 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen ein Grossteil in einer 2014 fertiggestellten modernen Fabrik in Neuenburg arbeiten. Seit 2005 stattet die Marke ihre Uhren mit exklusiven eigenen Werken aus. Mittlerweile sind es zwanzig Kaliber, die Hälfte davon mit automatischem Aufzug. Panerai hat den Trend zur grossen Uhr eingeläutet und vor wenigen Jahren Bronze als Gehäusematerial salonfähig gemacht.

Ein Einblick in 12 komplizierte Panerai–Kaliber der aktuellen Produktion. (Bild: Panerai)

Ein Einblick in 12 komplizierte Panerai–Kaliber der aktuellen Produktion. (Bild: Panerai)

Was ist typisch für Panerai?

Die Marke ohne grosse Vergangenheit hat aus der Not eine Tugend gemacht. Ähnlich wie Rolex spielt sie mit den wenigen, dafür umso markanteren Designelementen, die jede Panerai von weitem unverkennbar machen. Dazu gehören:

Krone

Die konische Krone der Radiomir-Familie, der Kronenschutz mit Hebel der Luminor-Familie.

Gehäuse

Das kissenförmige Gehäuse von Panerai stammt ursprünglich von Rolex.

Drehlünette

Die Drehlünette einer 60 mm grossen Taucheruhr, die 1956 für die ägyptische Armee bestimmt war. Sie passt auch ausgezeichnet auf das Luminor-Gehäuse.

Bandanstösse

Die bügelförmigen Bandanstösse der Radiomir-Familie und die massiven Bandanstösse der Luminor-Familie.

Zifferblatt

Das schwarze Sandwich-Zifferblatt mit den ausgefrästen Ziffern und Indexen.

Unten: Original Panerai «Radiomir» von 1938. (Bild: Panerai)

Layout

Die gelungene Typografie ohne Serifen, die ähnlich simpel ist wie die ausgefrästen Ziffern sowie die spezielle Form der Zeiger, insbesondere der kleinen Sekunde.

Mit den charakteristischen Elementen ist es den Designern bis heute gelungen, jedes Jahr neue Modelle zu kreieren, die alle aussehen, als wären sie fürs Militär entwickelt. Für Nichteingeweihte ist es zuweilen schwierig, die verschiedenen Versionen voneinander zu unterscheiden. Doch für «Paneristi», und so nennen sich die ganz angefressenen Panerai-Fans, ist jedes Modell total anders. Darob geht auch ganz vergessen, auf wessen Seite die Marke während des Zweiten Weltkriegs stand.

www.panerai.com

«I Sette dell’Orsa Maggiore»

Italienischer Spielfilm über die Kampftaucher mit ihren bemannten Torpedos.