Peter Weibel zur Kompetenz in der Krise.

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Graz - Nicht erst angesichts der Koalitionsverhandlungen könnte man zum Schluss kommen, die politisch-kritische Intelligenz sei auf dem Boulevard der Massenmedien geopfert worden. Mit ihrem Symposium Unsichtbare Intelligenz, Kritische Theorie der Gegenwart in Österreich (20., 21. 11., Neue Galerie Graz) wollen Peter Weibel und Franz Nahrada ein Kompetenz-Netzwerk knüpfen. Von Andrea Schurian.

Standard: Was meinen Sie mit unsichtbarer Intelligenz?

Weibel: Viele intelligente Köpfe aus Österreich wandern aus oder haben keine oder nur inferiore Positionen, zum Teil an staatlichen Institutionen. Das intelligente Potenzial, normalerweise das Alarmsystem einer Gesellschaft, liegt brach. Es gibt in Österreich viele Intelligenzen, die Beiträge zu vielen Problemzonen der Gesellschaft - von der Energieversorgung bis zur Zivilgesellschaft - liefern könnten. Doch für die allgemeine Öffentlichkeit und für den Staat ist diese Intelligenz nicht sichtbar. Die Kollektoren, die normalerweise Intelligenzen einfangen, also Universitäten, Verlage, Institute, Medien, beginnen in Österreich zu versagen.

Standard: Sind wir auf dem Weg zur Unwissenheitsgesellschaft?

Weibel: Es zeigt sich bei den jetzigen Koalitionsverhandlungen, dass Österreich sich in einer Krise der Kompetenz befindet. Kompetenz definiere ich in einer Abwandlung von Max Webers Effizienzkriterium: Wer kompetent ist, kann aufgrund seines Wissens seine Entscheidungen rational begründen. Wer nicht kompetent ist, also über kein Wissen verfügt, kann seine Entscheidungen nur autoritär und irrational durchsetzen. Unsere Gesellschaft verliert zunehmend an Wissen und verfällt zunehmend autoritären und irrationalen Strukturen. Deswegen spricht man auch schon allenthalben von "Post-Demokratie". Einer der Gründe für diese Krise der Kompetenz ist die mangelnde Förderung von Intelligenz. Zu wenig Bildung, zu wenig Ausbildung. Die Gesellschaft hat geglaubt, man kann sich der Kultur entledigen, man braucht nur Wirtschaftskraft. Wir sehen nun, wohin dieser Irrglaube geführt hat. Der Glaube an die Wirtschaft war ein Religionsersatz, der apokalyptisch endete. Eine Bedrohung für die gesamte Gesellschaft.

Standard: Welche Rolle spielen die Massenmedien?

Weibel: Die Massenmedien, das Fernsehen an der Spitze, haben die Unterhaltung dem Wissen vorgezogen. Diese Unterhaltungs- und Eventkultur toleriert nichts anderes mehr als sich selbst und blendet jede kritische Intelligenz aus. Kulturbeiträge wurden bis zur Unsichtbarkeit marginalisiert. Die Beiträge einer kritischen Intelligenz, die gerade jetzt so notwendig wären, um den gesellschaftlichen Wandel zu bewältigen, gelangten nicht an die Öffentlichkeit, sondern zirkulieren in privaten Nischen. Dieses Netz bildet die einzige Plattform der Öffentlichkeit für kritische Ideen, ebenso wie Publikationen in Wissenschaftsblättern oder subkulturellen Zeitschriften.

(Andrea Schurian, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. November 2008)