Für viele werdende Mütter in Österreich herrscht Ungewissheit, wie es finanziell weitergeht, wenn das Kind erst da ist.

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Was braucht man für ein neu geborenes Baby? Ein Bettchen, Windeln, Gewand, einen Maxi-Cosi, Schnuller. Vor allem aber brauchen Babys und Mütter eine Krankenversicherung. Doch krankenversichert ist man nur, wenn man Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld bezieht. Ohne diese Beihilfen wird es auch mit dem Babyequipment schwierig. So weit, so logisch. Umso unlogischer ist eine behördliche Lücke, die erwerbstätige EU- und EWR-Bürgerinnen in Österreich nach der Geburt eines Kindes die Auszahlung genau dieser Gelder verwehrt.

Europäische Staatsbürger*innen, die sich länger als vier Monate in Österreich aufhalten wollen, müssen bei den Behörden eine Anmeldebescheinigung beantragen. Denn es braucht einen legitimen Grund, warum man länger in Österreich bleiben möchte. Das kann ein Job oder ein Studium sein. Eine in Österreich angemeldete Arbeitnehmerin, die schwanger wird und keinen Kontakt zum Kindsvater hat, gerät dabei in eine prekäre Lage. Denn das Kind erhält ab seiner Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft der Mutter. Das bedeutet: Auch das Kind ist EU-Bürger*in, das in Österreich angemeldet werden muss. Ab diesem Zeitpunkt beginnen die Probleme.

"Nie nicht gearbeitet"

Eine karenzierte Frau erfüllt nämlich nicht mehr den Zweck ihres Aufenthalts, weil sie dann keine Arbeitnehmerin ist. Das Magistrat für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35) verlangt von den Müttern, ein Einkommen nachzuweisen, damit sie für ihr Baby eine Anmeldebescheinigung bekommen. "Nachweis der Erwerbstätigkeit" oder "Nachweis ausreichender Existenzmittel", wird auf der Website der Stadt Wien erklärt.

In diesem Fall wäre das Einkommen eigentlich das Kinderbetreuungsgeld und die Familienbeihilfe. Doch das bekommt man nicht, solange man keine Anmeldebescheinigung für das Kind vorlegen kann. Es ist ein Teufelskreis aus fehlendem Einkommen und fehlender Versicherung. Dass auf die Frauen nach der Karenz ihr alter Arbeitsplatz wartet, ist für die Behörden auch irrelevant, da ihr derzeitiger Status "Arbeitnehmerin" nicht zutrifft. Der einzige Ausweg aus dieser Zwickmühle: arbeiten. Doch wie geht man einer Erwerbstätigkeit mit einem Neugeborenen nach?

Alisa B. ist rumänische Staatsbürgerin und arbeitet seit 2016 in Österreich. "Ich habe nie nicht gearbeitet", sagt sie. Als Alisa in Karenz geht, ihr Kind bei der MA 35 anmelden will und die Anmeldebescheinigung dort bereits im Vorhinein bezahlt, wird ihr diese monatelang nicht ausgestellt. Denn sie kann kein Einkommen nachweisen, weil sie kein Kinderbetreuungsgeld und keine Familienbeihilfe bezieht. Sowohl die Krankenkasse als auch das Finanzamt wollen ihr dieses Geld, das ihre Existenzgrundlage ist, nicht ausbezahlen, solange sie von der MA 35 keine Anmeldebescheinigung bekommt.

Von Oktober 2019 bis Mai 2020 lebte Alisa B. völlig ohne jegliche Bezüge. Zufällig fand Alisa eine Stelle in einer Reinigungsfirma. Dort ist sie für neun Wochenstunden angestellt, damit sie versichert ist und das Geld für das Baby ausbezahlt wird. In der Zeit, in der sie arbeitet, passen entweder ihre Mutter oder ihre Geschwister auf das Kind auf. "Ich muss das Kind noch stillen und laufe zwischen der Arbeit und dem Kind zu Hause hin und her. Ich versteh das nicht, ich bin alleinerziehend, ich habe immer gearbeitet. In den fünf Monaten, in denen ich kein Einkommen hatte, haben sich Schulden angehäuft", seufzt Alisa verzweifelt.

"Wie im 18. Jahrhundert"

Guadalupe A. hat ähnliche Schwierigkeiten. Die gebürtige Mexikanerin hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie war Studentin und lebte allein in Österreich, nach dem Studium wurde sie schwanger. Ihr Freund hat zu diesem Zeitpunkt im Ausland gearbeitet, sie haben nicht zusammengelebt und die Beziehung war noch frisch. Auch ihr standen keine Ansprüche mehr zu, ihr Studium hat sie schließlich beendet. Daraufhin musste Guadalupe ebenfalls einen Job annehmen, damit die Eigenschaft als Arbeitnehmerin greift.

Für Guadalupe A. ist die Situation unverständlich: "Ich habe viele Jahre gearbeitet und viele Steuern bezahlt. Elf Monate lang habe ich kein Geld für mein Kind und für mich bekommen", klagt sie. Nachdem sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten konnte, kam ihr Freund nach Österreich und sie zogen zusammen. "Ich habe Glück, dass es mit meinem Partner gut läuft.", erzählt Guadalupe, "aber nicht jeder Frau geht es da so gut wie mir. Was ist, wenn eine Frau von jemandem abhängig ist, der gewalttätig ist? Es ist wie im 18. Jahrhundert, man ist gezwungen, bei seinem Partner zu bleiben, sonst landet man auf der Straße."

"Da beißt sich die Katze in den Schwanz", sagt Angela Ivezić. Sie ist Geschäftsführerin des Arbeitsmarktpolitischen Beratungszentrums für Migrantinnen in Wien. Ivezić kennt Fälle wie jenen von Alisa und Guadalupe und sieht darin eine Diskriminierung alleinstehender Frauen.

Vor Jahren hatte ihre Beratungsstelle versucht, mit dem Finanzamt zu sprechen. Sie forderte, die Familienbeihilfe solange auszubezahlen, bis die Frauen die Anmeldebescheinigung bekommen. Doch das Finanzamt würde befürchten, dass sie im Falle eines unrechtmäßigen Aufenthalts das Geld zurückfordern müssten. Laut Ivezić könnte auch die Aufenthaltsbehörde den ersten Schritt machen und die Bescheinigung ausstellen, damit der Rest geregelt ablaufen kann. Derzeit gebe es nämlich nur eine Möglichkeit, diesen Frauen aus der Misere zu helfen: Sie rät ihnen, arbeiten zu gehen.

Modell für klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation

Für Angela Ivezić ist das frustrierend: "Man unterstützt damit ein System, das eigentlich so nicht funktionieren dürfte." Man weiß nicht, wie viele EU- und EWR-Bürgerinnen österreichweit von diesem Problem betroffen sind. Ivezić kann nur für ihre Beratungsstelle sprechen, dort seien es "sehr viele".

Laut dem statistischen Jahrbuch für Migration & Integration 2020 von der Statistik Austria liegt die Erwerbsbeteiligung von Frauen aus den EU-Staaten bei rund 70 Prozent. Jede dieser Frauen könnte – im Falle einer Schwangerschaft und wenn sie mit dem Kindsvater keinen Kontakt hat – betroffen sein. Laut Angela Ivezić sehe dieses Modell nur eine klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation vor. Auf alleinstehende Mütter hätte man dabei vergessen. (Vanja Nikolić, 14.1.2021)