Das Ende der Geschichte

Zehn Jahre nach seiner Entblössung wird der Dopingdoktor Eufemiano Fuentes letztinstanzlich freigesprochen. Die bei ihm konfiszierten Blutbeutel gehen an die Welt-Anti-Doping-Agentur – was nichts mehr ändern dürfte.

Christof Gertsch
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Der spanische Arzt Eufemiano Fuentes vor der Gerichtsverhandlung in Madrid. (Bild: Sergio Perez / Reuters)

Der spanische Arzt Eufemiano Fuentes vor der Gerichtsverhandlung in Madrid. (Bild: Sergio Perez / Reuters)

Die Geschichte hatte alles, was es für eine spannungsgeladene Erzählung benötigt, und als solche wurde sie auch behandelt. Wer sie als Journalist verfolgte, fand bisweilen kaum Schlaf, so sehr überstürzten sich an manchen Tagen die Neuigkeiten, und so unheilvoll war für den Sport, was die Geschichte zutage förderte. Im Rückblick erstaunt eigentlich nur, dass noch niemand den Stoff verfilmt hat, wo für Filme, die auf wahren Begebenheiten basieren, doch oft unspektakulärere Ereignisse genügen.

Die Geschichte fing mit einem Coup der spanischen Guardia Civil an, bekannt geworden als «Operación Puerto», sie handelte von klandestinen Treffen auf Flughäfen, zwiespältigen Dopingkurieren und Blutbeuteln in Kühlschränken. Es ging um viel Geld, aber vor allem ging es um Weltstars. Ihnen wurden die Masken heruntergerissen und die wahren Gesichter entblösst, Gesichter des Betrugs. Es ging um Radfahrer und ein paar Leichtathleten, und mutmasslich ging es auch um Tennis- und Fussballspieler, nur konnten die ihre Haut auf wundersame Weise retten.

Was geschieht mit dem Blut?

Und jetzt, zehn Jahre nach dem Auftakt, findet die Geschichte zu einem Ende. Denn der Mann, der an ihrem Ursprung stand, der spanische Gynäkologe Eufemiano Fuentes, den die Geschichte zum berühmtesten Dopingdoktor der Welt machte – dieser Mann ist von einem Berufungsgericht in Madrid freigesprochen worden. Kein Gefängnis, keine Busse, nichts. Das Urteil ist nicht anfechtbar. Erstinstanzlich war Fuentes 2013 zu einem Jahr Haft und vier Jahren Berufsverbot verurteilt worden.

Der Entscheid des Berufungsgerichts könnte Empörung hervorrufen, weil er bedeutet, dass einer der grössten Betrüger der Sporthistorie ohne Schaden davonkommt, vielleicht mit Ausnahme des Reputationsschadens, aber auch das ist nicht sicher, im Sport sind die Dienste eines Betrügers wie Fuentes bestimmt nach wie vor gefragt. Und trotzdem ist Empörung nicht angebracht. Zu dem Zeitpunkt, als Fuentes aufflog, gab es in Spanien kein Anti-Doping-Gesetz und war Doping strafrechtlich nicht verboten. Angeklagt war er nur des Vorwurfs der Gesundheitsgefährdung, und das Berufungsgericht kam zum Schluss, dass Gesundheitsgefährdung nicht vorliege, wenn man Sportlern beim Dopen hilft.

Sehr wohl bestraft wurden einige der Sportler, die zu den Kunden von Fuentes zählten, oft erst nach langen Rechtsstreitigkeiten, darunter Jan Ullrich, Ivan Basso, Tyler Hamilton, Alejandro Valverde und Jörg Jaksche. Ihnen konnten Blutbeutel zugeordnet oder anderweitige Verstrickungen nachgewiesen werden. Unvergessen, wie Fuentes ihnen allen Übernamen gegeben hatte, um die Blutbeutel nicht zu verwechseln, «Hijo Rudicio», «Clasicómano», «Birillo».

Ein freigesprochener Dopingdoktor, ein paar gesperrte Radfahrer: Das ist die Bilanz der «Operación Puerto». Es ist eine zwiespältige Bilanz, denn die Hoffnung, dass weitere Sportler bestraft werden können, ist mit dem Ende des Prozesses auf ein Minimum gesunken. Oder vor allem mit dem Zeitpunkt des Endes des Prozesses. Zwar hat das Gericht entschieden, dass die 211 Blutbeutel, die im Frühling 2006 konfisziert und seither unter Verschluss gehalten wurden, den am Prozess beteiligten Verbänden ausgehändigt werden müssen, konkret der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), dem Radweltverband UCI und dem Italienischen Olympischen Komitee (Coni). Allerdings liegt die Verjährungsfrist für Dopingvergehen laut Artikel 17 des Wada-Kodexes bei zehn Jahren. Dass die Wada und die UCI ankündigten, ihre Möglichkeiten zu prüfen, und dass deren Anwälte sagten, sich auf höhere Gewalt berufen zu wollen, wirkt wie eine Verzweiflungstat angesichts all der Verzögerungen, die der Prozess erfahren hat. Es wäre so leicht gewesen: Einige Wochen früher – und die Verjährungsfrist wäre nicht abgelaufen gewesen. Schon früh gab es den Vorwurf, politische Kreise in Spanien würden schützend die Hand über gewisse Sportler halten. Als Fuentes-Kunden waren einst nämlich auch prominente Fussballer und Rafael Nadal genannt worden.

Erschüttert, ernüchtert

Den Darstellern in dieser Geschichte ist jedenfalls viel zuzutrauen. Zwar hat die Geschichte ein Dopingsystem enttarnt, dessen Grösse unerreicht sein und dessen Gewieftheit nur von jenem Lance Armstrongs getoppt werden dürfte. Sie hat eine Wahrheit entblösst, die auch den letzten Gutgläubigen erschütterte – acht Jahre nach dem «Festina-Skandal», der als reinigend empfunden und vom Radsport dazu benutzt worden war, sich als geläutert zu präsentieren. Aber sie hat eben auch vorweggenommen, was sich seither in anderen Skandalen bestätigt hat, nicht nur in solchen mit Dopingbezug: Selbst wenn es noch mehr zu entblössen gäbe, und das wäre in diesem Fall mit all den Blutbeuteln ja möglich gewesen – es sind nicht immer alle beteiligten Gremien gleichermassen an Aufklärung interessiert. Nicht einmal jene, deren Auftrag just die Aufklärung wäre.