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Coronakrise Was die Welt von Südkorea lernen kann

Schnelle, flächendeckende Tests und modernste Medizintechnik: Südkorea ist so gut wie kaum ein anderes Land für eine Corona-Epidemie gerüstet. Trotzdem sind auch dort die Fallzahlen zwischenzeitlich sprunghaft angestiegen.
Aus Seoul berichtet Katharina Graça Peters
Kampf gegen Corona in Seoul: "Absolut vorbildlich"

Kampf gegen Corona in Seoul: "Absolut vorbildlich"

Foto: Lee Jin-Man/ dpa

Ein kalter Wind fegt über den Parkplatz südlich von Seoul und bauscht die Planen der weißen Zelte. Seit neun Uhr steht eine Ärztin mit zwei Helfern hier, um Patienten, die mit dem Auto vorfahren, auf Covid-19 zu testen.

Sie tragen einen weißen Schutzanzug und darüber eine Plastikschürze, mehrere Lagen von Latex- und Plastikhandschuhen, Mundschutzmasken und darüber ein Visier aus Plexiglas.

Ein schwarzer BMW biegt in den Parkplatz ein, der Fahrer lässt das Fenster herunter. Aussteigen muss er nicht. Die Krankenschwester fragt nach persönlichen Daten und misst Fieber. Dann fährt der BMW einige Meter vor, und die Ärztin nimmt eine Probe aus dem Rachenraum und eine aus der Nase.

Dieses sogenannte Drive-in-Testing ist sicherer und schneller als andere Verfahren, es dauert nicht einmal zehn Minuten. Inzwischen gibt es solche Stationen auch in Deutschland. "Wenn Patienten in eine Klinik gehen, stecken sie womöglich andere an oder verunreinigen die Umgebung", sagt die Ärztin, die an diesem Morgen Dienst hat.

Präsident Moon erklärt dem Virus den "Krieg"

50 solcher Drive-in-Teststationen gibt es in ganz Südkorea. Die Stadt Goyang war Vorreiter, die Beamten dort fühlten sich von McDonald's Drive-in inspiriert. Für den Patienten ist der Test umsonst, für das südkoreanische Gesundheitssystem vergleichsweise günstig. An der Autostation kostet er umgerechnet 48 Euro, in der Klinik 121 Euro.

Drive-in-Test in Daegu: Vergleichsweise günstig

Drive-in-Test in Daegu: Vergleichsweise günstig

Foto: KIM KYUNG-HOON/ REUTERS

Das Drive-in-Testing ist Teil des Bemühens der südkoreanischen Regierung, den Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen. Rund 8000 Menschen in Südkorea haben sich mit Corona infiziert, so viele wie in kaum einem anderen Land. Doch zwischenzeitlich ist die Kurve etwas abgeflacht, die Sterblichkeitsrate ist vergleichsweise gering, und das führen Experten auch auf den in vielerlei Hinsicht vorbildlichen Umgang Südkoreas mit der Seuche zurück.    

Präsident Moon Jae-in hat dem Virus den "Krieg" erklärt. Durchschnittlich 12.000 Menschen werden in Südkorea jeden Tag auf Covid-19 getestet, maximal können die Labors 20.000 Tests täglich durchführen. Die Ergebnisse erhalten die Behörden in sechs bis 24 Stunden, deutlich schneller als in anderen Ländern. Dass aus Südkorea so hohe Infektionszahlen gemeldet werden, liegt somit auch daran, dass besonders viele Menschen auf eine mögliche Infektion untersucht werden.

"Wir sind sehr beeindruckt davon, wie viel in Südkorea getestet wird", sagt Thomas Frieden, der frühere Direktor der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC. So könne früh erkannt werden, wer infiziert sei. Das, so sind sich Spezialisten einig, ist wichtig, um die Infektionsrate zu senken. Denn wer frühzeitig weiß, dass er infiziert ist, kann Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um andere nicht anzustecken. 

Virologe nennt Südkoreas Vorgehen "absolut vorbildlich"

Auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité meint zu dem Vorgehen der Südkoreaner: "Ich finde das absolut vorbildlich. Ich fände es gut, wenn wir eine solche Testquote auch erreichen könnten."

Südkorea liegt mit großem Abstand vor anderen Ländern, ergibt ein Vergleich der Universität Oxford. Hatte Südkorea am 10. März bereits 210.144 Tests durchgeführt, waren es in Italien 60.761 in Großbritannien 26.261 und in den USA lediglich 8554.

Noch eines fällt auf: 60 Menschen sind in Südkorea an Covid-19 gestorben, die Mortalitätsrate beträgt durchschnittlich 0,7 Prozent. Damit ist die Zahl niedriger als in anderen Ländern. Auf eine Erklärung, woran das liegen könnte, wollen sich die Experten im Land nicht festlegen. 

Möglicherweise hänge es mit der frühen Erkennung und somit frühen Behandlung zusammen, sagt Kim Dong-hyun, Präsident der Koreanischen Gesellschaft für Epidemiologie. Aber es könne auch daran liegen, dass sich in Südkorea viele jüngere Menschen infiziert hätten, bei denen die Verläufe nicht so schwer seien. 

Soldaten desinfizieren eine Straße in Seoul

Soldaten desinfizieren eine Straße in Seoul

Foto: KIM HONG-JI/ REUTERS

Südkorea hat nach dem Ausbruch der Krankheit Mers vor fünf Jahren seine Infrastruktur für eine mögliche Epidemie umgekrempelt. Das hilft in der aktuellen Krise. Die Behörden dürfen nicht nur die persönlichen Daten der Infizierten detailliert abfragen, es gibt auch ein Notfallzentrum für Infektionskrankheiten und regelmäßig tagende Expertengruppen. 

Quarantänekontrolle per App

Menschen, die in regelmäßigem Kontakt mit Infizierten standen, müssen sich in ganz Südkorea zwei Wochen selbst in Quarantäne begeben. Mit einer App wird überwacht, ob diese Selbstisolierung eingehalten wird. 

Im Global Health Security Index schneidet Südkorea hervorragend ab, wenn es um Prävention und Erkennen von und Reaktion auf Infektionskrankheiten geht, in der Kategorie "Notfallsystem" belegt das Land sogar den ersten Platz.

Erst am 17. Dezember hat die koreanische Seuchenschutzbehörde KCDC eine Simulation durchgespielt. Sie erprobte, wer im Ernstfall verantwortlich ist, wie zu reagieren ist und wie lange Diagnosen brauchen. Als Beispiel bei der Simulation diente rein zufällig: ein Coronavirus.

Trotz dieser Vorkehrungen konnte sich das Virus ab Mitte Februar im Süden des Landes rasant ausbreiten. Kritiker werfen der Regierung vor, dass sie weiterhin Passagiere aus China ins Land gelassen habe, um Peking nicht zu verärgern. Nur die Einreise aus Wuhan zu verweigern, sei zu wenig gewesen.

Die Wut vieler Menschen trifft aber vor allem die christliche Shincheonji-Sekte. Bei ihren Gottesdiensten im Süden des Landes haben sich massenhaft Gläubige angesteckt, sodass sich die Millionenstadt Daegu und die benachbarte Provinz zum Krisenherd entwickelten. Fast zwei Drittel aller Infektionen des Landes gehen auf Shincheonji zurück.

Als Anfang dieser Woche die Kurve der Neuinfektionen abflachte, gab das Anlass zu zaghaftem Optimismus. Doch dann zeigte sich: Gestoppt ist der Ausbruch nicht.

Südkorea setzt auf Freiwilligkeit

Seit Mitte der Woche schreckt eine neue Infektion, nun in Seoul, das Land auf. Mehr als hundert Menschen haben sich in einem Callcenter angesteckt. Die Regierung ist erneut darum bemüht gegenzusteuern. Der Bürgermeister von Seoul bat Karaokebars, Internetcafés und Klubs, ihren Betrieb einzustellen. 

In Daegu wird unterdessen deutlich, wie selbst ein robustes Gesundheitssystem an seine Grenzen gerät: Bis an den Rand der Erschöpfung schuftet das medizinische Personal dort, besonders die ersten Wochen waren hart. "Wir wussten wenig über das Virus und wie man es kontrollieren kann", sagt der Arzt Choi Sang-woong. Allein in dem Keimyung Universitätsklinikum in Daegu, wo er arbeitet, brachen zwei Krankenschwestern Berichten zufolge zusammen. Kollegen mussten Infusionen bekommen, berichtet Choi am Telefon. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert. 

Anders als Wuhan hat man Daegu nicht abgeriegelt, sondern setzt darauf, dass die Menschen freiwillig zu Hause bleiben. Die Südkoreaner wollen demonstrieren, wie eine Demokratie auf dieses Virus reagieren kann, das auf der ganzen Welt bürgerliche Freiheiten auf die Probe stellt: mit Transparenz und Gemeinschaftssinn sowie überlegener Medizintechnik.

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