Fallgeschichte "Komm doch wieder." "Das geht nicht. Ich lebe noch."

Frauke Liebs telefonierte noch mehrmals nach ihrem Verschwinden mit ihrer Schwester und einem Freund, bis die Anrufe ganz aufhörten
© Privat/stern crime
Ein Sommerabend 2006. Während die Deutschen die Fußball-WM feiern, verschwindet in Paderborn eine junge Frau. Sieben Tage lang sendet sie verstörende Lebenszeichen. Dann herrscht Stille. Was geschah mit Frauke Liebs?

Dies ist die Geschichte über den Fall Frauke Liebs, die 2015 in stern Crime erschienen ist. Der Mord an der jungen Frau aus Paderborn ist immer noch eines der rätselhaftesten Verbrechen des Landes. Jetzt, im November 2021, sucht Fraukes Mutter gemeinsam mit stern Crime noch einmal nach Zeugen. Es ist ihr letzter Versuch, den Mörder zu finden. Zusatzmaterial über den Fall finden Sie auf dieser Seite.

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Das Verschwinden

Ingrid Liebs, Fraukes Mutter: Die Ferien standen vor der Tür. Es war der 20. Juni. Ich besuchte Frauke in Paderborn. Sie wollte an dem Abend Fußball schauen. Vorher sind wir essen gegangen, Frauke, Chris und ich. Die beiden waren schon über ein Jahr nicht mehr zusammen, aber immer noch gute Freunde. Sie lebten in einer Zweier-WG.
Isabella Cameron, Fraukes Freundin: Während sie mit ihrer Mutter und Chris essen war, schrieb ich Frauke eine SMS: "Wir sitzen jetzt im Pub. Gute Sicht auf die Leinwand. Komm gerne vorbei."
Chris Karaoulis, Fraukes Mitbewohner: Um kurz vor neun setzten wir sie am Pub ab. Ich hatte keine Lust aufs Spiel, wollte lieber mit meiner neuen Freundin telefonieren. Weil ich meinen Wohnungsschlüssel vergessen hatte, lieh mir Frauke ihren. Und ich versprach ihr, dass ich aufbleibe und ihr aufmachen werde.
Freundin Isabella: Alle waren im Fußballfieber. Wir hatten noch verabredet, dass wir Rot und Weiß tragen an diesem Abend, England spielte gegen Schweden. Wir saßen wie im Kino in einer Reihe. Sie schrieb die ganze Zeit SMS mit Niels, einem meiner besten Freunde, den sie gerade kennengelernt hatte. Plötzlich piepste ihr Handy, ging aus. Akku leer. Wir hatten das gleiche, ich lieh ihr meinen, bekam ihn später zurück. Sie fragte: "Ach, wie soll ich das formulieren?" Wir haben viel gelacht.
Niels, Fraukes neuer Bekannter: Ich kannte Frauke seit ein paar Wochen. Sie war total nett. An dem Abend hatte ich Spätschicht. In den Pub bin ich danach nicht mehr, obwohl sie gefragt hatte.
Freundin Isabella: Frauke sah müde aus. Gähnte oft. Gleich nach dem Spiel ist sie abgehauen: "Chris wartet, ich geh nach Hause, sonst muss er die halbe Nacht aufbleiben." Ich habe sie noch zur Tür gebracht. "Bis morgen, Frauke!" Keine Ahnung, welchen Weg sie nahm.
Mitbewohner Chris: Ich lag in meinem Zimmer, schaute Fernsehen. Sie kam nicht. Aber nichts für ungut, dachte ich, sie war im Pub, hatte ihren Spaß. Ich gehe ohnehin nicht so früh ins Bett. Nach Mitternacht kam eine SMS von ihr.

Diese Geschichte über den mysteriösen Tod von Frauke Liebs wurde 2015 mit dem Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ausgezeichnet. Autor Dominik Stawski erhielt den Hauptpreis in Bronze.

Dieser Text ist in stern Crime erschienen. Das Magazin erzählt Fallgeschichten wahrer Verbrechen auf umfangreiche und detaillierte Weise


Mittwoch, 21. Juni 2006, 0.49 Uhr: "Komme später. Das Spiel war lustig nicht gegen England Hdgdl bis später"
Mitbewohner Chris: Wir hatten vorher noch gescherzt: Hauptsache, kein Achtelfinale gegen England. Und auch das Hdgdl, dieses Hab-dich-ganz-doll-lieb, der Smiley, alles normal. Als ich dann fast eingepennt bin, rief ich sie an. Handy aus. Klar, Akku leer, dachte ich. Habe also die Zimmertür offen gelassen, damit ich das Klingeln höre. Dann bin ich eingeschlafen.
Freundin Isabella: Am nächsten Morgen saß ich pünktlich um acht Uhr in der Krankenpflegeschule. Frauke hatte den Platz genau gegenüber, aber der war leer. Ich bin zur Lehrerin. Hat sich Frauke krankgemeldet? Nach der ersten Stunde habe ich Chris in der WG angerufen: Hat Frauke verpennt?
Mitbewohner Chris: Isabella hat mich mit dem Anruf geweckt. Ich bin in Fraukes Zimmer. Das Bett war gemacht, sie war nicht nach Hause gekommen. Aber das ist nicht Frauke, die bleibt nachts nicht weg. Ich habe sofort die Krankenhäuser abtelefoniert.
Mutter Liebs: Ich wollte bei der Polizei bei mir im Ort Vermisstenanzeige stellen. Der Beamte sagte, Frauke sei eine erwachsene Person, die ihren Aufenthaltsort selbst wählen könne. Mag sein, aber sie ist tausendprozentig zuverlässig. Er hat wenigstens die Kollegen in Paderborn informiert. Die schauten, ob es einen Unfall gegeben hat. Nichts.

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