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Fall Rebecca Reusch: Das Mysterium um die Vermisste – eine Spurensuche


Vermisster Teenager
Zwei Jahre nach Verschwinden – Wohin führt Rebeccas Spur?

  • Josephin Hartwig
Von Josephin Hartwig

14.02.2021Lesedauer: 8 Min.
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Spurensuche: Aufnahmen zeigen, wo sich Rebecca Reusch kurz vor ihrem Verschwinden am 19. Februar 2019 aufhielt. (Quelle: t-online)

Seit zwei Jahren fehlt von Rebecca Reusch aus Berlin jede Spur. t-online hat mit einer Journalistin gesprochen, die die Details des Falls recherchiert und in einem Podcast veröffentlicht hat. Das ist der Stand der Ermittlungen.

Am 18. Februar 2019 verschwindet die damals 15-jährige Rebecca Reusch aus Berlin spurlos. Was ist damals geschehen? Ein Ermittlungsteam sucht fieberhaft nach Hinweisen, schnell wird der Schwager der Jugendlichen verdächtigt, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben. Florian R. bestreitet das und sagt aus, er sei unschuldig. Rebecca habe das Haus verlassen.

Fakt ist: Florian R. war morgens allein mit ihr im Haus, sein himbeerroter Twingo ist an diesem rätselhaften Vormittag auf der Autobahn in Richtung Polen von einem Kennzeichenüberwachungssystem registriert worden. Ermittler durchkämmen danach tagelang einen Wald in Brandenburg. Die Suche? Vergebens.

Zwei Journalistinnen haben noch einmal jeden Stein umgedreht, mit Zeugen, der Schwester des Verdächtigen und Freunden des Teenagers gesprochen. Ihre Erkenntnisse offenbaren neue Details. Etwa ein Jahr haben Miriam Arndts und Lena Niethammer recherchiert. Ihr Podcast "Im Dunkeln" war wochenlang an der Spitze der Charts. t-online hat mit Lena Niethammer gesprochen.

Videoaufnahmen zur Spurensuche rund um den Fall Rebecca sehen sie oben im Video oder hier.

Schwager frühzeitig unter Verdacht

Der Fall beschäftigt damals ganz Deutschland, Tausende nehmen Anteil im Netz, wollen wissen, was geschah. Zwei Mal wird der Schwager festgenommen. "Dieses Selbstvertrauen der Polizei, das fand ich bemerkenswert, da wurde meine journalistische Neugier geweckt", sagt Lena Niethammer t-online. Die beiden Journalistinnen kamen schnell mit Zeugen in Kontakt, die Rebecca am Tag ihres Verschwindens und danach noch gesehen haben wollen. Genau bewiesen ist das nicht. Die Monate verstrichen, das Material zum Fall wurde immer mehr und vervielfältigt sich bis heute.

Immer wieder stellt sich die Frage, wieso sich der Verdacht gegen Florian R. nicht erhärtete. Das liegt offenbar an der Spuren- und Beweislage. "Keine Chance, es reicht nicht", sagt Oberstaatsanwalt Martin Steltner, Sprecher der Behörde, t-online. In seiner Stimme schwingt Bedauern mit, dass der Fall noch nicht endgültig gelöst ist. Er sagt aber auch: "Der Schwager hat sich komisch verhalten, das war alles sehr merkwürdig." Genauer darauf eingehen will er nicht.

Wohin war der Twingo unterwegs? Saß Florian R. überhaupt im Auto? Das konnte nicht geklärt werden. Seine Schwester Sarah sagt dazu im Podcast: "Vielleicht will er jemanden decken und hatte das Auto verliehen." Sie wisse auch, dass er manchmal als Drogenkurier gearbeitet hat. Doch die Strecke ist bei Drogenkurieren eigentlich nicht beliebt. Viele wissen, wo sich die Kameras befinden und würden eher über die Landstraßen nach Polen fahren, erklärt ein Kriminalpolizist t-online.

"Wir können und wollen nicht alle Verdachtsmomente gegen den Schwager in der Öffentlichkeit besprechen", sagt Oberstaatsanwalt Steltner. "Das ist unfair auch ihm gegenüber. Er wird verdächtigt, aber er ist nicht verurteilt."

Niethammer: "Haben Zeugen ermutigt, zur Polizei zu gehen"

Nicht alle Hinweise und Informationen, die sie im Laufe der Produktion des Podcasts erhalten haben, seien veröffentlicht worden, erzählt Lena Niethammer. "Wir haben Zeugen, die uns noch etwas mitgeteilt haben, immer ermutigt, damit zur Polizei zu gehen", sagt sie. Die beiden Journalistinnen haben nach der Recherche eine Vermutung, was mit Rebecca Reusch geschehen ist. Darüber öffentlich sprechen wollen sie nicht. Der Podcast soll für sich stehen.

Dass Rebecca das Haus ihrer Schwester verlassen hat, konnte die Mordkommission anhand der Handydaten nicht feststellen. Sie geht davon aus, "dass Rebecca das Haus nicht lebend verlassen hat." Oberstaatsanwalt Steltner erklärt vor wenigen Tagen in einem Statement, es handele sich um ein "Tötungsdelikt". Doch eine Leiche ist bislang nicht gefunden worden.

"Wir müssen uns an Fakten halten und nicht an die Glaskugel“, sagt Steltner. Es sei immer eine Abwägung, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist. Davon gibt es gleich mehrere.

Szenario Nummer 1: Die Entführung

Ist Rebecca vielleicht doch entführt worden? Das sei eine Verschwörungstheorie. "Es muss was im Haus passiert sein", ist sich Steltner sicher. Man müsse auch keine Spuren finden, trotzdem kann etwas passiert sein – fließt kein Blut, sind meist auch keine verwertbaren Spuren da. Doch auch ein Unfall, bei dem Rebecca ohne Absicht zu Tode kam, ist eine Möglichkeit.

Besonders überrascht hat die beiden Spurensucherinnen Arndts und Niethammer, dass den Freunden von Rebecca im Netz so viel Hass entgegengebracht wurde. "Die wurden von Pädophilen belästigt und von irgendwelchen Hobbyermittlern beleidigt". Rebeccas Freunde geraten online immer wieder in den Fokus. "Das sind einfach 16-Jährige, die natürlich nicht immer wissen, wie man damit umgeht. Einige schrieben ihnen auch: Du steckst dahinter, du warst das." Die Anfeindungen scheinen bis heute nachzuwirken. t-online hat mehrere Wochen versucht, mit Freunden von Rebecca ins Gespräch zu kommen. Doch in den Medien will sich niemand mehr äußern.

Szenario Nummer 2: Hat sich Rebecca etwas angetan?

Freunde von Rebecca berichten im Podcast, dass es an der Schule Mobbing gegeben habe, Rebecca häufig niedergeschlagen war, Stimmungsschwankungen und womöglich depressive Phasen gehabt habe. Prof. Dr. Bettina Hannover ist Psychologin an der FU Berlin. Sie ist unter anderem auf Entwicklungsfragen bei Jungen und Mädchen spezialisiert. "Die soziale Akzeptanz ist in diesem Alter besonders wichtig. Es ist eine Besonderheit des Jugendalters, dass Ausgrenzung besonders dramatische Folgen haben kann", sagt die Psychologin. Als Erwachsener könne man sich aussuchen, mit wem man zusammen sein wolle. In der Schule müsse man jedoch auch Menschen, die einen eventuell schlecht behandeln, täglich sehen.

Der entscheidende Punkt sei, ob es im Leben dieses Menschen jemanden gibt, der auf der Suche nach Hilfe angesprochen werden kann. "Hat ein gemobbtes Kind auch zu Hause das Gefühl, dass es nicht gehört und geliebt wird, kann das dramatische Folgen haben. Manchmal geht das so weit, dass der Gedanke entsteht, die anderen würden sogar erwarten, dass man den Weg wählt sich umzubringen."

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Die Staatsanwaltschaft glaubt nicht, dass die Jugendliche so zu Tode kam. "Es gibt darauf keine Hinweise", sagt Oberstaatsanwalt Steltner zur Suizidtheorie. "Wenn sie sich umgebracht hat, warum hat sie dann keinen Abschiedsbrief hinterlassen? Das ergibt keinen Sinn."

Szenario Nummer 3: Gewalttat im Haus

Die beiden Journalistinnen Niethammer und Arndts sprachen für den Podcast mit zwei Ex-Freundinnen des Tatverdächtigen. Florian R. war offenbar in der Vergangenheit gewalttätig. Die beiden Frauen, die längst keinen Kontakt mehr zu ihm haben, sagten unabhängig voneinander, er habe sie damals immer wieder geschlagen, brutal verprügelt und auch mal eingesperrt, wenn es Streit gab. Angezeigt haben sie ihn jedoch nicht.

Axel Petermann ist Kriminalist und Profiler. Auf seine Erkenntnisse schaut Deutschland – der 68-Jährige hat bereits zahlreiche Bücher verfasst, die Bestseller wurden. Er beschäftigt sich mit internationalen Kriminalfällen und kennt auch den Fall Rebecca Reusch. Geht man davon aus, dass Rebecca getötet und weggeschafft wurde, gibt es einige Faktoren zu bedenken. "Unmittelbar mit dem Eintritt des Todes entstehen durch die Zersetzung von Eiweiß Fäulnisgase, sogenannte Cadaverin, die von Leichenspürhunden angezeigt werden können", erklärt er.

Der Kriminalist sprach vor einiger Zeit mit einem Ausbilder von Leichenspürhunden aus Nordrhein-Westfalen. Leichenspürhunde waren auch im Fall Rebecca im Einsatz, durchsuchten das Haus, das Auto des Schwagers und wurden auch bei der Suche im brandenburgischen Wald eingesetzt. Damals sei es bei Petermann um einen Fall gegangen, bei dem eine Frau verstümmelt und getötet wurde. "Ich war mir sicher, dass ihr Mann, der Täter, das im Badezimmer getan hat, die Hunde schlugen aber nicht an." Lege man allerdings eine Folie unter oder verpacke man die Leiche in Plastikfolie, kann der Hund nichts mehr riechen, habe ihm damals der Hundeausbilder erklärt. "Diese großen blauen Plastiksäcke haben ja viele Menschen im Haus", sagt Petermann. Ein Hund zum Erschnüffeln von Tatorten, an denen Leichen lagen, sei ein gutes Hilfsmittel, aber eben auch nicht immer genau. Es wäre also dennoch möglich, einen Leichnam in einem Auto zu transportieren, ohne Spuren zu hinterlassen.

"Man muss von dem Nähe-Prinzip ausgehen", sagt Petermann. Stirbt eine Frau, würde er sich immer die Beziehungen des möglichen Opfers ansehen. "Allein der Umstand, dass sie weiblich ist und es eine Nähe gab, erhöht grundsätzlich das Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden", sagt der Experte, schließlich fänden häufiger Taten im sozialen Umfeld statt.

Klar ist, dass Rebecca allein mit dem Schwager im Haus war, bevor sie verschwand. Natürlich gebe es auch die Möglichkeit, dass die 15-Jährige auf dem Weg zur Bushaltestelle auf einen Täter traf und dann erst verschwand, sagt Kriminalist Axel Petermann. Aber bislang gibt es auch dafür keinen Beweis.

Szenario Nummer 4: Rebecca ist durchgebrannt

Eine Theorie ist, dass Rebecca mit einem Freund, den sie womöglich im Internet kennengelernt hat, verschwunden ist. "Aber da muss man sich immer fragen, wie wahrscheinlich das ist. So etwas kann man nicht ausschließen. Es gibt diese jungen, weiblichen Ausreißerinnen, aber wenn die Nachforschungen zeigen, dass sie ihr Handy nicht mehr benutzte, klingt es unwahrscheinlich", sagt Axel Petermann.

Auch Spuren von Rebecca, die im Haus gefunden worden sind, beweisen erst einmal nichts. "Schließlich gibt es für Haare oder andere Spuren auch immer eine andere Erklärung. Vor allem, wenn sie sich auch zuvor öfter in dem Haus aufgehalten hat", erklärt der Kriminalist.

Die Staatsanwaltschaft glaubt nicht, dass Rebecca abgehauen ist. "Im Zuge der Ermittlungen wurde festgestellt, dass es darauf keine Hinweise gibt", betont Martin Steltner.

Wut auf die Polizei

Die Familie von Rebecca äußerte sich am 10. Februar 2021 erneut öffentlich. "Die Polizei legte sich von Tag eins auf unseren Schwiegersohn als Täter fest, ohne Beweise", sagte Rebeccas Vater dem Magazin "Bunte". Die Polizei sei nicht bereit, Zeugen zu hören, die Rebecca auch nach ihrem Verschwinden am 18. Februar 2019 noch gesehen hätten. "Auch nicht Personen, die unseren Schwiegersohn entlasten." Stattdessen tauchten in den Medien immer wieder Informationen auf, "die nur aus Polizeikreisen stammen können".

Als Florians 21-jährige Schwester Sarah erfahren habe, dass Rebecca verschwunden sei, habe sie gleich gedacht, dass da etwas nicht stimme. Im Podcast sagt sie: "Ich fand es unfair, dass er [Florian R.] direkt als Monster hingestellt wurde. Das macht mich wütend. Die haben keinen festen Beweis, dass er das war." Es gebe schließlich auch keine Leiche. "Wo war die Unschuldsvermutung?"

"Wir sind sämtlichen Hinweisen nachgegangen", sagt Oberstaatsanwalt Steltner zu den Vorwürfen. Es seien definitiv alle Zeugenaussagen überprüft worden. Den Vorwurf, die Polizei habe sich zu früh festgelegt, den gebe es immer. "Irgendwann kommt ein Punkt, wo es in eine Richtung läuft. Im Fall Rebecca ist zu Beginn aber in alle Richtungen ermittelt worden."

Aussagekräftige Hinweise nach zwei Jahren möglich?

Ein ganzer Zweig der Psychologie beschäftige sich mit Zeugenaussagen und wie glaubhaft sie nach einer bestimmten Zeit noch sein können, erklärt Psychologin Bettina Hannover. Mehrere Monate nach einem Fall seien Zeugenaussagen deshalb mit größter Vorsicht zu betrachten. Menschen würden manchmal nicht mehr unterscheiden können zwischen dem, was sie tatsächlich selbst erlebt oder beobachtet haben und dem, was sie von anderen erzählt bekommen oder in einem Fernsehbeitrag gesehen haben. "Das macht die Ermittlungsarbeit zu einem solchen Zeitpunkt sehr schwer."

Menschen würden sich manchmal an Dinge erinnern, die so vielleicht gar nicht stattgefunden haben. "Das ist dann den Leuten selbst nicht bewusst, solche Gedächtnisverzerrungen entstehen ohne Absicht." Noch immer gehen Hinweise bei den beiden Podcast-Journalistinnen und bei der Polizei ein. Sie zu filtern und zu entscheiden, welche noch heute Aussagekraft haben, ist schwer.

Gibt es noch Hoffnung?

"Es gibt Fälle, die werden noch nach Jahren aufgeklärt", sagt Oberstaatsanwalt Steltner. Auch im Fall Rebecca gebe es noch die Hoffnung, dass die Wahrheit herauskommt. Die Mordkommission arbeite noch immer daran und versuche, den Fall zu lösen. "Aber nach zwei Jahren natürlich mit weniger Aufwand, das ist klar."

Rebeccas Mutter hat sich kurz vor dem Jahrestag des Verschwindens ihrer Tochter noch einmal an die Öffentlichkeit gewandt. Sie appellierte an den Täter, sich zu melden und zu sagen, wo sich Rebecca befinde. Sie spüre, dass ihre Tochter noch am Leben ist. "Mein Glaube hilft mir, die Hoffnung nicht zu verlieren und weiterhin stark zu bleiben", sagt sie.

"Dieser Fall ist noch lange nicht auserzählt, dieser Fall bewegt sich immer noch", sagt Miriam Arndts in der letzten Folge des Podcasts. Weitere Folgen des vorerst abgeschlossenen Projekts sind möglich. Es fehlt die eine, entscheidende Spur im Fall Rebecca Reusch, die heute noch im Verborgenen liegt. Doch Ermittler, Staatsanwälte und Podcast-Spurensucherinnen glauben weiterhin fest daran: Eines Tages kommt die Wahrheit ans Licht.

Verwendete Quellen
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