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Kristina Gnirke

Anklage gegen Ex-VW-Chef Winterkorn Vorgeführt von der US-Justiz

Im VW-Skandal inszenieren sich die US-Ermittler als Aufklärer. Das können sie, weil die deutsche Justiz so zurückhaltend agiert: Die Staatsanwaltschaft zögert zu lange mit einer Anklage wegen Betrugs.
Ex-VW-Chef Martin Winterkorn

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn

Foto: Bongarts/Getty Images

Die Dieselaffäre rund um manipulierte Autos von Volkswagen stinkt vielen Menschen in Deutschland. Millionen Wagen stoßen weit mehr giftiges Stickoxid aus, als der Wolfsburger Autokonzern seine Kunden glauben machte. Bislang mussten dafür vor allem die Autokäufer bezahlen, deren Autos an Wert verlieren. Das könnte sich jetzt ändern.

Fast drei Jahre nach dem Auffliegen des Abgasskandals geht es erstmals dem einst höchsten Konzernmanager an den Kragen, Ex-VW-Chef Martin Winterkorn - allerdings nicht im Heimatmarkt Deutschland, sondern in den USA.

Betrug und Verschwörung wirft das US-Justizministerium Winterkorn vor Gericht vor. "Die heute veröffentlichte Anklage enthält den Vorwurf, dass Volkswagens Plan zu betrügen bis ganz an die Spitze des Unternehmens reichte", sagte US-Justizminister Jeff Sessions. Es handle sich um ernste Anschuldigungen, "und wir werden sie mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgen".

Diese Härte würde sich manch Betroffener auch anderswo wünschen: von der deutschen Justiz. "Interessiert zur Kenntnis" nimmt die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Anklage in den USA, heißt es dort. Zwar ermitteln die Strafverfolger in der Heimat von Volkswagen ebenfalls, auch gegen Winterkorn. Doch obwohl es immer mehr Belege dafür gibt, dass den ehemaligen Konzernchef frühzeitig Informationen über die Manipulationen erreicht haben müssen, reicht es den Staatsanwälten hierzulande bisher nicht zur Anklage.

Mit einem Fuß im Gefängnis? Von wegen!

Wie selbstverständlich nannte der nun ebenfalls abgelöste VW-Chef Matthias Müller kürzlich im SPIEGEL als einen Grund für sein hohes Gehalt das Risiko, das man als Konzernchef trage: "Als solcher steht man immer mit einem Fuß im Gefängnis." Mit der Realität deckt sich seine Einlassung nicht. Korruptionsaffären und Schmiergeldzahlungen, Untreue und Bestechung, Betrug wie im Fall Volkswagen - alles haben sich deutsche Großkonzerne schon geleistet. Doch ihre Chefs mussten dafür so gut wie nie büßen.

Ausnahmen lassen sich nur dort finden, wo die Ermittlungsakten quasi frei Haus geliefert werden und kaum wegzudiskutieren sind: Weil der Insolvenzverwalter des Handelskonzerns Arcandor aufdeckte, wie dessen ehemaliger Chef Thomas Middelhoff private Ausgaben vom Unternehmen bezahlen ließ, nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf, und der Top-Manager wanderte 2014 für drei Jahre hinter Gitter.

Ansonsten fällt es gerade Konzernchefs oft leicht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie sind meist nicht so nah am operativen Geschäft wie Unternehmer in kleineren Firmen. Im Zweifel, heißt es dann, wurden sie von ihren Untergebenen nicht richtig informiert, und wenn doch, dann haben sie eben nicht zugehört oder nicht richtig gelesen. Mit dieser Begründung treten Winterkorn und seine Anwälte auch Belegen entgegen, wonach ihn schon weit vor dem Auffliegen des Dieselskandals im September 2015 Informationen über die Manipulationen erreicht haben müssen.

Täter als Opfer?

Dabei ist mittlerweile belegt, dass Winterkorn im Mai 2015 in seinem "Wochenendkoffer" mit weiteren wichtigen Chefsachen Informationen seines engen Vertrauen Bernd Gottweis über Abschalteinrichtungen erhielt. Mit diesen Einrichtungen senkte VW den Abgasausstoß auf den Prüfständen künstlich. Zudem gibt es Material über ein Treffen von Winterkorn mit VW-Ingenieuren am 27. Juli 2015, in dem er über die Lage in den USA informiert wurde. Dabei wurde offenbar erklärt, wie VW die US-Behörden betrog und welche Konsequenzen drohten.

VW Werk in Wolfsburg

VW Werk in Wolfsburg

Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / Julian Stratenschulte/dpa

VW zieht sich auf die Position zurück, es sei nicht dokumentiert, ob Winterkorn die Schreiben auch gelesen habe. Winterkorn selbst will dem Treffen im Juli 2015 keine Hinweise auf die Manipulationen entnommen haben.

Wie ein Opfer von Desinformation stellte sich der einstige Übervater von VW dem Bundestags-Untersuchungsausschuss im Januar vergangenen Jahres dar. "Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden bin", sagte er da. Was passiert sei, mache auch ihn wütend.

Nach dem Auffliegen des Dieselbetrugs 2015 meinte Winterkorn sogar, unbeschadet im Amt bleiben zu können, als trage er als Konzernchef keinerlei Verantwortung dafür, was in seinem Unternehmen vorgeht. Erst als der öffentliche Druck nach einiger Zeit zu groß wurde, musste er zurücktreten.

Den Amerikanern reicht das Beweismaterial

Das US-Justizministerium beirrt das behauptete Nichtwissen der einstigen VW-Größen offenbar nicht. Wie Hohn klingt es, dass sich die Amerikaner bei den deutschen Strafverfolgungsbehörden für die Unterstützung bedanken. Den US-Kollegen erschien die Beweislage ausreichend, vor Gericht zu ziehen - die unterstützenden Deutschen halten sich derweil zurück.

Die deutsche Behörde ermittelt zwar gegen 49 mutmaßlich am Abgasskandal Beteiligte wegen Abgasmanipulationen und falschen Emissions- sowie Verbrauchsangaben. Gegen Winterkorn richten sich die Ermittlungen zugleich wegen des Verdachts der Marktmanipulation, genauso wie gegen den neuen VW-Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Die Manager bestreiten die Vorwürfe. Die Staatsanwälte in Braunschweig rechnen nicht damit, dass ihre Betrugsermittlungen im Abgasskandal überhaupt noch dieses Jahr abgeschlossen werden.

Während die Deutschen zaudern, können sich die Amerikaner mit dem Fall VW als Aufklärer inszenieren. "Wenn man versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, dann wird man einen hohen Preis bezahlen", drohte Justizminister Sessions. Es ist wohl kein Zufall, dass die Information über die Anklage am Donnerstagabend verbreitet wurde - just zum Ende der VW-Hauptversammlung in Berlin.

Der Abgasbetrug wurde in Amerika aufgedeckt, obwohl das Bundesverkehrsministerium und das Kraftfahrtbundesamt schon Jahre zuvor viele Hinweise auf Ungereimtheiten bei den Abgaswerten hatten. Nun düpieren die USA Deutschland auch noch mit ihrer schnellen und konsequenten Ahndung des Betrugs.