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Kinderarbeit, Unterernährung: „Bedingungen am Anfang der Lieferkette des Luxusproduktes Schokolade“

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Begehrter Rohstoff: Ein Kleinbauer öffnet in der Elfenbeinküste eine Kakao-Schote.
Begehrter Rohstoff: Ein Kleinbauer öffnet in der Elfenbeinküste eine Kakao-Schote. © AFP

Kakao-Experte Friedel Hütz-Adams im Interview über Rekordpreise beim Rohstoff für Schokolade, die Situation der Kleinbauern in Westafrika und die Verantwortung der Süßwarenkonzerne.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Friedel Hütz-Adams mit der Lieferkette im Kakaosektor. Anfangs ist ihm wegen der massiven menschenrechtlichen Probleme auf den Plantagen der Appetit auf Süßkram gründlich vergangenen. Aber kakaofreie Schokolade sei auch keine Lösung, findet der 57-Jährige. Im massiven Preisanstieg für Kakao sieht er jetzt die Chance, etwas für die Kleinbauern und -bäuerinnen zu erreichen.

Herr Hütz-Adams, der Preis für Kakao geht steil. An der Börse hat er sich binnen Jahresfrist verdreifacht. Was sind die Hauptgründe?

Da spielen verschiedene Ursachen ineinander. Alle paar Jahre gibt es in den Tropen das Wetter-Phänomen El Niño , die Regenzeiten verschieben sich mit der Folge untypischer Trockenphasen und dann aber auch wieder regional starkem Regen in Westafrika. In den vergangenen Jahren waren die Auswirkungen auf die Ernten allerdings bei Weitem nicht so massiv, wie wir das jetzt sehen.

Was spielt da noch eine Rolle?

Es kommt hinzu, dass in den beiden Hauptanbauländern Elfenbeinküste und Ghana, wo 60 Prozent der weltweiten Kakaoernte herkommen, in den vergangenen Jahrzehnten riesige Flächen abgeholzt wurden – zu einem erheblichen Teil auch für den Anbau von Kakao. Das hat das Mikroklima verändert und ist mit ein Grund für die aktuell dramatischen Ernteeinbußen von mehr als 30 Prozent in den beiden Ländern.

Gibt es jenseits der klimatischen Bedingungen auch strukturelle Faktoren?

Ja. Der Kakaopreis war über Jahre hinweg sehr niedrig. Viele Bäuerinnen und Bauern konnten es sich einfach nicht leisten, Dünger und Pflanzenschutzmittel zu kaufen sowie Arbeitskräfte zu bezahlen, um die Plantagen so zu bewirtschaften, dass sich optimale Erträge erzielen lassen.

Treibt aktuell auch Spekulation die Preise?

An der Börse sind derzeit massive Ausschläge zu beobachten, da kann der Preis an einem Tag schon mal um bis zu 800 Dollar pro Tonne nach oben schießen und dann auch wieder fallen. Hedgefonds wittern in dieser Situation das schnelle Geschäft und wetten auf die Preise. In erster Linie ist aber der physische Mangel an Kakao der Hauptgrund für die massive Verteuerung.

Profitieren die Kleinbauern und -bäuerinnen vom Anstieg der Preise?

Das kommt auf das Land an. In der Elfenbeinküste und Ghana wird ein großer Teil des Kakaos bereits Monate vor der Ernte verkauft, und der Preis orientiert sich an der Börse. Ein Großteil der Verträge für die aktuelle, seit Oktober 2023 laufende Ernte wurde bereits im vergangenen Frühjahr geschlossen, bevor die Preise so richtig in die Höhe schnellten.

Und dann kam der massive Einbruch der Ernten ...

Ja, mit der Folge, dass einige kakaoverarbeitende Konzerne sich jetzt überbieten, um irgendwie an Bohnen zu kommen, damit ihre Fabriken nicht bald stillstehen. Davon profitieren Länder mit unreguliertem Kakaosektor wie Uganda in Ostafrika. Dort sind die Preise für ein Kilo Kakao jetzt von zwei auf fünfeinhalb Dollar gestiegen. Das könnte viele Menschen aus der Armut holen. Allerdings wird es konterkariert durch wesentlich geringere Erträge auf den Feldern.

Wie muss man sich die Situation der Erzeuger:innen in Westafrika vorstellen?

Über 90 Prozent des Kakaos stammen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die selbstständig sind, zwei bis drei Hektar bewirtschaften und keinen Einfluss auf die Preise haben. Es arbeiten auch Kinder auf vielen Plantagen, weil erwachsene Arbeitskräfte bei niedrigen Kakaopreisen vielen Familien zu teuer sind. Studien gehen davon aus, dass 1,5 Millionen Minderjährige in Westafrika unter verbotenen Bedingungen arbeiten, also nicht nur einmal ein bisschen mithelfen. Und es gibt auch Kindersklaven auf den Feldern. Außerdem ist die Unterernährung in den Familien noch immer weit verbreitet. Das sind die Bedingungen am Anfang der Lieferkette des Luxusproduktes Schokolade.

… das so teuer in den hiesigen Supermärkten gar nicht ist.

Und der Kakao macht im Endpreis der Produkte letztlich wenig aus. Wenn sich der Preis für den Rohstoff verdreifacht, dann kostet er bei einem Schokoriegel mit geringem Kakaoanteil vielleicht drei statt ein Cent. Bei einer Schokolade mit einem Kakaoanteil von 30 Prozent fällt das natürlich stärker ins Gewicht. Aber Werbung und Marketing für die Tafel kosten am Ende wahrscheinlich immer noch mehr als der enthaltene Kakao.

Die Preisanstiege der vergangenen Monate bei Süßwaren sind also nicht gerechtfertigt?

Man muss da zumindest genau hinschauen. Die Erhöhungen vor Weihnachten beispielsweise wurden mit dem Hinweis auf die gestiegenen Kakaopreise begründet. Vielfach galt das für Waren, für die der Rohstoff bereits Monate zuvor noch zu günstigen Konditionen eingekauft wurde. Es gab da wie bei anderen Produkten vermutlich auch Gewinnmitnahmen. Aber ich sehe in der aktuellen Situation auch eine Chance.

Inwiefern?

Man könnte die Kundinnen und Kunden daran gewöhnen, für Schoko-Produkte dauerhaft ein paar Cent mehr zu zahlen. Und die Konzerne könnten entscheiden, bei einem bestimmten Preisniveau zu bleiben, auch wenn die Ernten wieder besser ausfallen und das Angebot auf dem Weltmarkt wieder größer werden sollte. Die Unternehmen haben da eine Verantwortung für den Anfang ihrer Lieferkette. Denn die nationalen Behörden in Westafrika, die zu Beginn einer Erntesaison Mindestpreise festlegen, können sich nur in dem Rahmen bewegen, den die Einkäufer zulassen, und die orientieren sich in der Regel ausschließlich am Börsenpreis.

Apropos Verantwortung. Für viele Süßwarenhersteller gilt jetzt auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Außerdem ab Ende des Jahres die EU-Regulierung, wonach Lieferanten nachweisen müssen, dass für die Produktion des Kakaos keine Bäume gefällt wurden.

Endlich – kann ich da nur sagen. Die Firmen sind jetzt in der Verantwortung, ihre Lieferketten transparent zu machen und ökologische sowie menschenrechtliche Probleme anzugehen. Jedes Unternehmen muss dann nachweisen können, wo sein Kakao herkommt, und kann dann nicht mehr wegschauen. Wenn ein Einkäufer weiß, von welchem Feld die Bohnen stammen, steht nichts mehr im Wege, sich darum zu kümmern, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auch ein existenzsicherndes Einkommen erhalten. Das kann dann über Prämien oder Mindestpreise geregelt werden.

Lässt sich sagen, wie groß die Lücke zu einem Living Income ist?

Studien zeigen für die Elfenbeinküste und Ghana, dass das Einkommen mindestens doppelt so hoch ausfallen müsste.

Sollten Kundinnen und Kunden mit Blick auf menschenwürdige Einkommen vor allem zu Fairtrade-Produkten greifen?

Auch die von Fairtrade in ihrer Standardzertifizierung gezahlten Preise sichern nicht die Existenz. Das passiert bislang nur bei Nischenanbietern. Andererseits hat etwa der niederländische Hersteller Tony’s Chocolonely ein Prämiensystem, aber auch Lidl, Aldi, Rewe und Edeka haben einzelne Produkte, die das Living-Income-Konzept verfolgen. Das muss jetzt in die Breite getragen werden. Die massiven Preisanstiege bieten für die nächsten zwei, drei Jahre das Zeitfenster, das voranzubringen. Ich würde den Menschen raten, die Süßwarenhersteller direkt mit dem Thema zu konfrontieren. Entscheidend ist dabei nicht, ob die Produkte zertifiziert oder Teil irgendwelcher Programme sind, sondern eine Antwort auf die Frage, ob die kakaoanbauenden Familien ein existenzsicherndes Einkommen erhalten.

Wäre kakaofreie Schokolade nicht die Lösung, viele menschenrechtliche Probleme zu vermeiden?

Ich verstehe, dass einige Hersteller darüber nachdenken und es zum Beispiel mit Schokolade auf Basis von Hafer versuchen. Doch wenn dadurch global die Nachfrage nach Kakao sinken würde, hätte das einen Preisverfall zur Folge und würde den Kleinbauern auch nicht helfen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es gelingt, eine Textur mit unterschiedlichsten Geschmacksnoten, wie Kakao sie ermöglicht, im Reagenzglas zu erzeugen.

Friedel Hütz-Adams, wsissenschaftlicher Mitarbeiter des Südwind-Interviews.
Friedel Hütz-Adams, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Südwind-Instituts. © VOLKER HACKMANN

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