Rathausplatz: "Kap Kremsmünster"

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Eis-Haus

Dass Kremsmünster einen „Baum mitten in der Welt“ hat, weiß jeder hierzulande. Aber dass Kremsmünster auch ein „Kap“ am Rande der Welt, mitten im Eismeer hat, wussten nicht einmal die Heimatforscher. Zu weit weg liegt dieser Flecken Erde vom Alpenvorland entfernt. Vor fast 150 Jahren haben Forscher das Franz-Josef-Land entdeckt und markante Punkte benannt. Dass sie dabei auch an die Sternwarte, die Markthäuser und das Stift dachten, spricht für die Bedeutung Kremsmünsters.

Diese historische Anekdote ist der Ausgangspunkt der phantasievollen Fassadengestaltung am Rathausplatz / Ecke Hauptstraße. Aus dem leerstehenden Gebäude des sogenannten „Reiss-Hauses“ wurde innerhalb weniger Tage ein „Eis-Haus“. Auf einer riesigen Fototapete durchschwimmt ein Wal die arktische See und treibt ein Eisberg dahin. An heißen Tagen kühlen jene 300 m² allein schon optisch die Temperaturen.

Organisiert wurde diese künstlerische Verhüllung vom Verein Kremsmünster 2020, im Einvernehmen mit den Besitzern und mit finanzieller Unterstützung der Leader Region Traunviertler Alpenvorland. Sie fördert die zeitgemäße Darstellung des kulturellen Erbes und sieht den Markt Kremsmünster als ideales Eingangstor in die Region. Dazu braucht es solche außergewöhnlichen Attraktionen für Kulturtouristen.

Das „Eis-Haus“ ist wie die Sonderausstellung eines Heimatmuseums, das keinen Eintritt verlangt, sondern sich nach außen stülpt und direkt an die Passanten richtet. Die arktische Szenerie bietet die Gelegenheit von der Entwicklung des Marktes im 19. Jahrhundert zu erzählen. Verschiedene Symbole und Tafeln erklären die damalige Bedeutung Kremsmünsters. Marktbewohner, Gartenschaubesucher und Schulklassen entdecken staunend symbolische Details, wie Mammut und Eber, Tassilokelch oder Dampflokomotive. Der globale Blickwinkel der Darstellung ist überraschend und man merkt, der Ort musste sich seinerzeit für seinen Ruf genauso wenig verstecken wie heute mit seiner Vergangenheit.

 

Details:

Die Markthäuser von Kremsmünster sind schon hunderte Jahre alt. Sie wurden von ihren Besitzern baulich ständig verändert und ihren Ansprüchen angepasst. Ein Marktbrand vernichtete einmal einen Großteil der Bausubstanz am Rathausplatz, so dass barocke oder gar gotische Elemente, wie man sie in der Herrengasse, auf dem Weg hinauf ins Stift, noch sehen kann, nur mehr punktuell erhalten sind.

Die Westseite des Rathausplatzes nimmt das sogenannte „Reiss-Haus“ ein. Durch eine künstlerische Intervention wird es 2017 als „Eis-Haus“ gestaltet. Auch seine Giebelseite in der Hauptstraße bildet phantasievoll die arktische Szenerie ab.

Drei Original-Landkarten aus der Phase der Entdeckung zeigen das einzigartige „Kap Kremsmünster“. Es ist Teil des Franz-Josef-Landes, ragt ins Nördliche Eismeer und bildet einen Rand der Welt. Es ist eine Gegend voller Eis und Finsternis. So titelte auch der oberösterreichische Schriftsteller Christoph Ransmayr seinen ersten Roman - „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ -, in dem er von der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition erzählt, die diesen im wahrsten Sinn des Wortes ‚weißen‘ Fleck auf der Landkarte in den 1870er Jahren entdeckte.

„Payer streut seine Namen wie Bannsprüche über den Archipel, forscht dabei in seinen Erinnerungen und findet immer neue Städte und Freunde, die er im Eis verewigen will, und vergisst dabei doch nie, auch dem Herrscherhaus, der Kunst und der Wissenschaft zu huldigen: Cap Grillparzer sagt er zu einem wüsten Felsenturm und Cap Kremsmünster zu einem anderen.“
(Aus: Christoph Ransmayr, Die Schrecken des Eises und der Finsternis, Wien 1984)

 

Kremsmünster – mit Selbstironie und Selbstbewusstsein in der Mitte der Welt

Die Gemeinde Kremsmünster bildet keinen Rand der Welt, bloß den Nordpol des Bezirks Kirchdorf. Vor allem liegt der Markt aber inmitten des Kremstals und im sanften Schatten vom „Baum mitten in der Welt“. So heißt nämlich hier der höchste Punkt.

Aber wenn – so formuliert der Kurator Siegfried Kristöfl – Kremsmünster in der Mitte liegt, dann grenzt man an einer Seite sicherlich an ein Eismeer. Und das war der Ausgangspunkt, diesen unbekannten Flecken Erde spielerisch einzugemeinden.

Spielerisch machte der Bühnenbildner und Gestalter Alexandre Collon diesen beeindruckenden Naturraum zur Szenerie für die dynamische Entwicklung des Marktes Kremsmünster. Dadurch gelingt es, die Selbstverständlichkeit der Globalisierung verständlich zu machen und die falsche Provinzialität der Geschichte selbstironisch wegzublasen.

Amüsiert erzählen die beiden Gestalter: „Schon Franz Hönig, unser Mundartdichter, reimte: ‚In Kremsmünster, da is ’s finster // Und dö Wög sán voller Stoan‘. Wir glauben, er hat dabei an das Kap Kremsmünster gedacht …“

 

Historisches zur Entdeckung von „Kap Kremsmünster“ 1874

1877 feierte Kremsmünster den elfhundertsten Geburtstag seines Stiftes. Drei Jahre davor feierten Wien und die ganze Monarchie die Rückkehr zweier Forscher: Carl Weyprecht und Julius Payer. Sie hatten die „Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition“ angeführt und dabei unbekanntes Land entdeckt - ein Insel-Archipel, den sie nach ihrem Kaiser „Franz-Josef-Land“ benannten. Im Frühjahr 1874 war Payer mit einer kleinen Gruppe immer weiter nach Norden gezogen, um die eisige Landschaft zu erforschen. Markanten Punkten hatte er Namen gegeben. Eine Felsnase in der Arktischen See - bislang von niemandem betreten und gesehen - heißt seither „Kap Kremsmünster“.

 

Kremsmünster - anno 1874

Franz Hönig (* 1867), Kremsmünster Urgestein, Mundartdichter und Bürgermeister, beginnt in der Volksschule seine Schreibkarriere.

Vor zwei Jahren hat sich im Markt eine kräftige Gruppe von Männern zu einem Gesangsverein namens „Harmonie“ verbunden. Im „Theater am Tötenhengst“ übernimmt vielleicht deshalb eine Frau namens Anna Bäumer die Leitung. Dieser Chor wird am 23. Juni 1875 ein musikalisches Ständchen für den Nordpolfahrer Julius Payer bringen. Er wird damals zu Besuch in Kremsmünster gewesen sein.

Der Stiftsobergärtner Josef Runkel (* 1817) beschäftigt sich mit der Anlage eines „Coniferengartens“ im Auftrag des Abtes Augustin Reslhuber. Er pflanzt ausländische Nadelhölzer. Erhalten geblieben davon ist der Gingko-Baum vorm heutigen Pfarrheim.

Noch ist P. Cölestin Ganglbauer (* 1817) Konviktsdirektor im Stift Kremsmünster, der in seiner kirchlichen Karriere bald zum Prior, Abt, Erzbischof von Wien und Kardinal aufsteigen wird.

Mehrere kleine Gemeinden, darunter auch Kremsmünster-Markt und Kremsmünster-Land, werden zusammengelegt. Ein Experiment, das nach fünf Jahren scheitert. Weder Bürger noch Bauern lassen sich was gefallen.

Die Firma Greiner ist eine aufstrebende schwäbische Greißlerei (seit 1868) und hat mit Kremsmünster noch nichts zu tun.

Nichts geht weiter beim Eisenbahnbau in der Gegend. Die Investoren verhandeln noch immer über die ideale Linie: West – Ost oder Nord – Süd? Erst 1881 eröffnet die Kremstalbahn.

Julius Hann ist eben zum Professor für physikalische Geographie an der Uni Wien ernannt worden. Er lebte als Teenager in Kremsmünster. Bald wird er der nächste Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und schließlich zum Doyen der Wetter- und Klimaforschung.

Vor fünf Jahren genehmigte Kaiser Franz-Josef den Beginn einer Neukartierung der Monarchie, nachdem das großangelegte Vorgängerprojekt der „Franziszeischen Landesaufnahme“ unvollendet geblieben war. Jenes Unternehmen hat übrigens 1817 in Kremsmünster beim heutigen „Baum mitten in der Welt“ gestartet.

 

Erklärung der Bild-Symbole – „Kremsmünsterer Definitionen“

Dampflokomotive, die –
Der Markt Kremsmünster war gebaut für Fußgeher, Wanderer und Vieh. Kutschen erledigten die Transporte. Frühe Verbesserungen der Wege waren Brücken über die Krems und eine weniger steile Straße hinauf zum Stift. Den ersten Bahnhof erhielt Kremsmünster 1881, angelegt abseits des Marktes, hart an der Gemeindegrenze. Er war eine Zeit lang der End- und Wendepunkt der Kremstalbahn aus Linz. Die Fahrt nach Norden in die Landeshauptstadt betrug zwei Stunden und zehn Minuten.

Eisbär, der –
größte lebende Bedrohung der Polarforscher bei ihren Expeditionen durch das ewige Eis rund um Kap Kremsmünster. Nicht vergleichbar mit dem Wildschwein des Kremstals, weil kein Jagdobjekt und potentielles Opfer, sondern selbst der gefährliche Jäger.

Fotografie, die –
Zeigt Julius Payer: Offizier, Gelehrter, Erstbesteiger, Polarforscher. Nach der Rückkehr von der „Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition“ in den Adelsstand erhoben. Im Frühjahr 1874 war er im „Franz-Josef-Land“ soweit nach Norden gezogen wie möglich. Dabei benannte er einen markanten Punkt als „Kap Kremsmünster“.

Franz-Josef-Land, das –
vergletscherte Inselgruppe im Arktischen Ozean mit einem „Kap Kremsmünster“ im nordöstlichen Teil. Zwischen 1872 und 1874 entdeckt und benannt durch die „Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition“. Gut zwanzig Jahre später genau vermessen vom britischen Polarforscher Frederick G. Jackson. 1926 von der Sowjetunion annektiert, davor Niemandsland, danach militärisches Sperrgebiet. Im Grunde unbewohnt. Spärliche Vegetation. Lebensraum vorwiegend für Robben, Wale und Eisbären.

Luftschiff, das –
Ein Zeppelin überflog 1929 Oberösterreich, drei Jahre später – um einiges spektakulärer – das „Franz-Josef-Land“ und das Kap Kremsmünster. Die ersten Heißluftballone der Brüder Montgolfier hoben 1783 in Frankreich ab. In Kremsmünster stieg 1788 zum ersten Mal ein Ballon im Konventgarten höher als die Sternwarte auf, um im nächsten Hof wieder zu landen.

Mammut, das –
ausgestorbene Gattung der Elefanten, ausgestattet mit beachtlichen Stoßzähnen. Die Spezies scheiterte wahrscheinlich am Klimawandel und ist damit ein Beweis, dass nicht immer die Stärksten überleben. Vor einer Million Jahren besiedelten sie den Kontinent bis an die sibirischen Ufer des Arktischen Ozeans und zogen auch durch Kremsmünster.

Palme, die –
baumähnliche Pflanze, wuchs schon zur Zeit der Mammuts. Wenn Kremsmünster mitten in der Welt liegt, dann begrenzt die eine Seite ein Eismeer und die andere Seite ein Palmenstrand. Im brasilianischen Bundesstaat Bahia liegt die Diözese Barreiras, die mit dem Stift engstens verbunden ist. Ricardo José Weberberger war ab 1979 ihr erster Bischof und als P. Richard Mitglied der hiesigen Klostergemeinschaft seit 1958.

Polarforscher, der –
Julius Payer und Carl Weyprecht erforschten mit ihrem Team den Insel-Archipel „Franz-Josef-Land“. Nationen wie Norwegen, Russland, Italien oder Großbritannien unterstützten weitere Expeditionen. Viele suchten den Weg zum Nordpol. Die Anreise der Mannschaften erfolgte mit Schiffen, die meist im Eis stecken blieben und drifteten. Die Erkundungstouren erfolgten in kleinen Gruppen mit Schlitten.

Sterne, drei, goldene –
Keine Auszeichnung für das gastronomische Niveau im Markt Kremsmünster um 1900, sondern Hinweis auf die vielen Gaststätten, die dort einen Namen mit „gold“ als Attribut führten (u.a. „Zum goldenen Stern“), und Anspielung auf die „goldenen“ Zeiten, die die Wirte im Markt damals erlebten. Die Bürger trafen sich an Stammtischen und wärmten sich in den Gaststuben. Soziale Kommunikationsorte, die es 1874 im nördlichen Eismeer nicht gab.

Sternwarte, die –
vollendet 1758, geplant und errichtet in europäisch-aufgeklärten Zeiten. Kremsmünster wurde dadurch zum Zentrum der Naturwissenschaften. Mit ihrer Höhe von knapp 50 Metern oft als ältestes Hochhaus Europas beschrieben. Der Blick von oben ging weniger Richtung Nordpol denn nächtens zum Sternenhimmel.

Stifter, Adalbert –
Schriftsteller, Denkmalschützer, Maler, Schulinspektor. Er liebte den Ort Kremsmünster mit dem Stift und schwärmte von der Umgebung als ideale Landschaft. 1842 erlebte er eine Sonnenfinsternis, 1858 sah er bei Triest zum ersten Mal ein Meer. Beides bewegte ihn sehr. Stifter starb vier Jahre vor Beginn der „Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition“.

Tassilokelch, der –
Kultgegenstand, Kulturgut, Museumsobjekt, aufbewahrt im Stift Kremsmünster seit mehr als 1.200 Jahren. Benannt nach dem Gründer desselben Klosters Herzog Tassilo III., Haupt der Familie der Agilolfinger, Anführer des frühmittelalterlichen Volkes der Bajuwaren. Er kam nicht als Entdecker, sondern eher als Eroberer der hiesigen Region, die bereits als besiedelt galt.

Theater, das –
Unterhaltungsort, Kulturbetrieb, Wirtschaftsunternehmen, Architekturobjekt. Mit einer Bühne für komödiantische Lustspiele, große Oper und tragische Dramen. In Kremsmünster etablierte sich eine bürgerliche Schauspielcompagnie in einem alten Haus am „Tötenhengst“, nachdem das Stift seine lange Theatertradition beendet hatte. Die Gruppe nennt sich noch heute „Dilettanten Theaterverein 1812“.

Wildschwein, das –
Waldbewohner, vierbeinig. Ein Eber verteidigte in Kremsmünster sein Revier und sein Leben gegen einen Jäger. Der Kampf endete unentschieden – beide verbluteten. Die Familie des Mannes errichtete im Jahr 777 n. Chr. an dieser Stelle einen Erinnerungsort, der weltberühmt wurde. Wahrscheinlich handelt es sich aber bloß um eine sogenannte Gründungslegende.

Windrose, die –
Der höchste Punkt von Kremsmünster heißt „Baum mitten in der Welt“ (488 m ü. A.). Von hier aus begannen 1817 Landvermesser die genaue Kartierung der Habsburger-Monarchie in alle Himmelsrichtungen. Den Befehl für dieses kartographische Großprojekt gab Kaiser Franz I. Sein Enkel Kaiser Franz Joseph I. befahl nicht, sondern verfolgte wohlwollend mehr als ein halbes Jahrhundert später das Großprojekt Nordpol-Expedition. Der Baum ist übrigens eine Linde. Sein natürlicher Feind ist nicht der Wind, sondern der Blitz.

Text, Organisation: Mag. Siegfried Kristöfl, 2017