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Österreichs höchster Wasserfall: Endlich Abkühlung!

Foto: Michael Huber / Tourismus Krimml

Österreichs höchster Wasserfall Gier nach Gischt

Endlich abkühlen! An heißen Sommertagen wird einer der größten Wasserfälle Europas im österreichischen Krimml zum Sehnsuchtsziel für Abenteurer - und Asthmatiker.

Eine kleine Menschentraube hat sich gebildet. "Jetza schaug amoi die Scheichs o!", raunt ein Bayer seiner Frau zu. Vor ihnen, auf glitschigen Felsen, balanciert eine arabische Großfamilie. Die Frauen in durchnässten Burkas, die Männer mit Sonnenbrillen. Sechs Kinder spritzen sich an, sitzen in Pfützen oder stehen einfach nur da, die Augen geschlossen, die Arme im feinen Sprühnebel ausgebreitet. "Für die is des wia a gigantische Oase", sagt der beleibte Mann.

Vor ihnen grollt der Krimmler Wasserfall. Gischt schwebt über dem höchsten Wasserfall Österreichs , Regenbogen schimmern. Einer. Zwei. Drei. Ein Paradies für Besucher aus Wüstenländern. Eine Orgie aus Licht, Luft und Wasser. Und eine Labsal für alle, die der Hitze entfliehen wollen. Hier, wo die Krimmler Ache in drei Stufen insgesamt 385 Meter tief ins Tal stolpert, hat sich ein Kult ums Kühle etabliert.

Krimml in Österreich - 850 Einwohner, 3200 Gästebetten - schmiegt sich in einen Talkessel, umringt von 30 Dreitausendern. Das Dorf liegt ein wenig ab vom Schuss, im Nationalpark Hohe Tauern, und wäre ein Ort wie viele, hätte es nicht alles auf eine Karte gesetzt: das Wasser.

Keine Postkarte, die nicht spritzendes Wasser zeigt, keine Speise im Café, die nicht einen neckischen Namen mit Wasserbezug hätte. Im kleinen Dorfpark schießen bunt angestrahlte Fontänen zu Klängen von Lehar und Smetana in die Luft, die Krimmler Wasserfestspiele. Frisch eröffnet hat der Museumsthemenpark WasserWunderWelten , und für einen "Wasserfall-Lauf" wird geworben. Die Pizzeria heißt natürlich Cascata, und Tafeln weisen auf die einzigartigen Vorkommen von "Neckermoosartigem Plattmoos" hin, die in der ewigen Feuchtigkeit gedeihen.

Wasserfall hilft bei Asthma

Heidi Eichhorn aus Köln sitzt am Tosbecken am Fuß der Fälle und atmet. Das macht die 69-Jährige schon zwei Wochen so, jeden Tag eine Stunde. Seit sieben Jahren hat die frühere Vorstandssekretärin Asthma. Dazu kamen Allergien: "Katze, Gräser, Obst und was weiß ich noch." Hier in der Gischt erfährt sie Linderung: "Ich fühle mich wie neugeboren! Ich kann wandern, brauche kein Asthmaspray mehr." Den Krimml-"Kurlaub" fürs kommende Jahr hat sie auch schon klargemacht.

Ihre rheinische Begeisterung schreckt andere Sprühnebel-Atmer von ihren Sitzbänken und Liegestühlen auf. Auch sie schwören bei Asthma und Allergien auf den Wasserfall - und fühlen sich durch Forscher bestätigt: Beim Aufprall auf die Felsen zerstiebt das Wasser in Aerosole, sagen die Mediziner. Diese seien 200-mal kleiner als die in Asthmasprays und dringen tief in die Lunge ein. Zudem flattern die Flimmerhärchen in der Nase schneller und transportieren Schmutz und Schadstoffe zügiger ab. Mindestens vier Monate lang, so tönen die Broschüren, hält die Wirkung an.

Nun kommen Zigtausende Besucher im Jahr nach Krimml, buchen "Wasserfall Basis Packages" oder nehmen an Asthmacamps für "Splash Kids" teil, checken in allergenfreien Hotelzimmern ein und genießen die pollenfreie Zone. "Nach sechs Minuten im Wassernebel sinkt die Herzfrequenz", sagt einer am Therapieplatz und wedelt mit seiner Pulsuhr. Besser als Yoga.

Selfie-Glück auf rutschigen Felsen

Solch riesige Wasserfälle? In Krimml? Österreichs größte Fälle (385 Meter) liegen natürlich weit hinter einigen anderen: Die Wasser des Salto Ángel in Venezuela stürzen 979 Meter hinab, die Victoriafälle zwischen Sambia und Simbabwe gelten als die breitesten (mit 1,6 Kilometern), der Vinnufassen in Norwegen als höchster europäischer Wasserfall (860 Meter). Einer der größten Wasserfälle Europas sind die Krimmler nur bezogen auf die Wassermenge. 42.000 Liter schießen im Schnitt pro Sekunde in den Abgrund. Theoretisch könnte die Wassermenge in zehn Stunden das New Yorker Empire State Building füllen.

Von überall im Ort sind die spektakulären Kaskaden zu sehen, und nachts untermalt das stete Rauschen Touristenträume. Fast alle Gäste machen sich auf den vier Kilometer langen Weg an die Kante des Krimmler Achentals, vom Dorf steil hoch durch den Bergwald bis auf 1400 Meter Höhe. Auf elf Aussichtskanzeln kommen sie dem wilden Wasser ganz nahe. Manchen ist das nicht nah genug. Der Drang zum perfekten Selfie lockt Waghalsige auf rutschige Felsen. Immer wieder müssen Bergwacht oder Hubschrauber zur Rettung ausrücken.

Die ultimative Kühle verschafft Martijn Schofour, ein Niederländer, der eine Zillertalerin geheiratet hat und jetzt als Outdoor-Guide arbeitet. Hüfttief im elf Grad kalten Wasser der Schwarzach stehend, drückt der 35-Jährige die Köpfe seiner fünf neoprenbekleideten Canyoning-Neulinge unter Wasser. "Das ist wichtig, damit ihr später keinen Kälteschock bekommt", sagt er. Mit seiner Gruppe springt er in Gumpen genannte Strudeltöpfe, seilt sich an glitschigen Schluchtwänden ab, paddelt in Tiefwasserbecken, links und rechts steile Felswände.

Der Höhepunkt: Martijn steht auf einem Felsen, sieben Meter unter ihm eine kleine Gumpe, eingefasst von steinernen Wänden. Er brüllt "Bommetje!" und springt in den Abgrund. Ein Riesenplatscher, er taucht unverletzt auf. Immerhin drei der fünf Teilnehmer machen es ihm nach, schreien "Bommetje!" und stürzen sich ins Eiswasser. Was denn "Bommetje" heißt? Martijn grinst: "Das ist ein wichtiges Wort im Niederländischen." Kunstpause. "Es bedeutet Arschbombe!"

Abends im Bett wird das entfernte Rauschen des Wasserfalls lauter. Denn in der Mittagshitze schmilzt am meisten Wasser aus den umliegenden Bergen und Gletschern. Es braucht etwa neun bis zwölf Stunden, bis es die Fälle erreicht. So entfaltet das Naturschauspiel in der Nacht, wenn keiner zuschaut, seine größte Macht. Für die einen Gäste ein sehr beruhigendes Geräusch. Für andere ist das Brausen zu ungewohnt und hindert sie am Einschlafen.

Der Kellner im Frühstücksraum am nächsten Tag, ein gebürtiger Krimmler, hat seine eigene Statistik: "Zehn Prozent der Gäste schlafen kaum, die anderen so gut wie nie zuvor." Aber eigentlich hätten nur die Krimmler ein Problem beim Reisen: "Egal, wo wir sind: Wer hier aufgewachsen ist, dem fehlt in der Fremde etwas. Deshalb haben manche immer Wasserfallrauschen auf CD im Gepäck. Als Einschlafhilfe."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels haben wir von den Krimmlern als den "größten Wasserfällen" Europas berichtet. Dies stimmt nicht. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.